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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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Gruppe scheußlicher
Dämonen bewacht. Im Mittelpunkt der Schnitzerei war ein
Schuhmacher, der sich gegen vier zottige Teufel zur Wehr setzte,
die versuchten, ihn den Armen eines Wesens zu entreißen, das
Athelstan zunächst für eine junge Dame hielt; bei
näherer Betrachtung aber erkannte er an Schwanz und
kurzgeschnittenem Haar, daß es das Abbild einer
männlichen Hure war. Den Beruf des Teufelsopfers -Schuhmacher
-erkannte man an dem Werkzeugbeutel in der einen und dem
halbfertigen Schuh in der anderen
Hand.      
    »Wer hat das
geschnitzt?« fragte Athelstan Sir Richard.
    »Andrew
Bulkeley.«
    »Wo ist
er?«
    Sir Richard drehte
sich um und rief den Mann; ein kleiner Glatzköpfiger kam
herüber. Er war noch fetter als Cranston, und sein ungeheurer
Wanst war in eine schmutzige weiße Schürze gehüllt.
Er sah aus wie einer der unbekümmerten Teufel, die er
geschnitzt hatte, mit seinem fetten, fröhlichen Gesicht,
seiner Stupsnase und den großen blauen Augen, in denen
boshafte Heiterkeit zu tanzen schien.
    »Master
Bulkeley«, sagte Athelstan lächelnd und schüttelte
die dargebotene Hand, »Eure Schnitzereien sind
ausgezeichnet.«
    »Danke,
Bruder.« In seinem Tonfall lag das sanfte Gurren eines
wärmeren, frischeren Klimas.
    Athelstan deutete auf
die Abbildung der Hölle. »Diese Schnitzerei hier ist
dein Werk?«
    »Ja,
Bruder.«
    »Die Idee
auch?«
    »O nein, Bruder.
Sir Thomas selbst hat vorgeschrieben, was wir machen und wie wir es
schnitzen sollten.«
    »Aber warum der
Schuhmacher, und warum die männliche Hure?«
    Der Handwerker wischte
sich mit dem Handrücken über den Mund. »Das
weiß ich eigentlich nicht. Ich habe solche Szenen schon oft
gemacht. Es ist immer das gleiche. Irgend jemand wird der warmen
Umarmung einer Schar junger Damen entrissen. Aber diesmal hatte Sir
Thomas, glaube ich, einen privaten Scherz im Sinn. Er bestand
darauf, daß es ein Schuhmacher und daß die Hure ein
Mann sein müsse. Mehr weiß ich nicht. Er hat bezahlt,
ich habe gemacht, was er wollte. Habt Ihr die anderen schon
gesehen?«
    »Ja,
danke«, sagte Athelstan und schaute zu Cranston
hinüber.
    »Master
Allingham war hier, um sich die Schnitzereien anzusehen?«
wollte Cranston wissen.
    »Ja.«
    »Weißt du,
warum?«
    »Nein.«
    »Hat er sich
für irgendeine Schnitzerei besonders
interessiert?«
    Der Handwerker zuckte
die Achseln. »Er hat sie sich alle angeguckt - meistens, wenn
wir nicht da waren. Aber er wollte immer wieder wissen, weshalb Sir
Thomas sich für bestimmte Themen entschieden habe. Ich habe
ihm das gleiche gesagt wie Euch.«
    Athelstan wandte sich
an den Kaufmann. »War Euer Bruder von Schuhmachern besonders
fasziniert?«
    »Ich habe Euch
doch gesagt«, entgegnete Sir Richard ungeduldig. »Er
liebte Rätsel. Vielleicht hat ein Schuhmacher ihn beleidigt.
Ich weiß es nicht!«
    Athelstan nahm Sir
John sanft beim Ellbogen. »Ich habe genug gesehen. Vielleicht
sollten wir gehen?«
    Der Coroner machte ein
verwundertes Gesicht, willigte aber wortlos ein. Sie gingen durch
die Küche und den Hausflur zur Vordertür. Fast waren sie
draußen, als Sir Richard rief: »Bruder Athelstan! Sir
John!«
    Beide fuhren
herum.
    »Ihr kommt immer
wieder her, aber Ihr habt immer noch keinen Hinweis darauf
gefunden, daß die Todesfälle oder ihre Gründe in
irgendeiner Weise Zusammenhängen. Ist es nicht
so?«
    Der Kaufmann hatte ein
wenig von seiner Arroganz wiedergefunden, und Cranston konnte sich
nicht zügeln. »Jawohl, so ist es, Sir Richard. Bis jetzt
haben wir nichts Schlüssiges gefunden. Aber ich kann Euch
durchaus etwas Neues mitteilen, und Ihr mögt es dann den
anderen weitersagen.«
    »Ja, Sir
John?«
    »Wie immer die
Umstände aussehen mögen, und was immer Ihr darüber
denkt - Stephen Allingham wurde ermordet. Ihr solltet Euch allesamt
vorsehen.«
    Bevor dem
erschrockenen Kaufmann eine Antwort einfiel, hatte Cranston schon
Athelstans Ellbogen ergriffen und steuerte ihn hinaus auf die in
der Sonne brütende Straße. »Als wir das letztemal
hier waren«, witzelte Athelstan, »habt Ihr mich
ermahnt, meinen Mund zu halten und nicht unaufgefordert Dinge
hinauszuposaunen, Sir John. Aber das gleiche habt Ihr heute getan.
Es gibt keinen Hinweis darauf, daß Allingham ermordet
wurde.«
    »Oh, das
weiß ich«, grunzte Sir john. »Und du weißt
es auch.« Er blieb stehen und tippte dem Ordensbruder leise
an die Schläfe. »Aber da oben, Athelstan, und hier in
deinem Herzen - was glaubst du da wirklich?«
    Athelstans

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