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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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Blick
wanderte über das Treiben ringsum. Die Menschen kämpften
sich zwischen den Ständen hindurch, ohne etwas von seinen
finsteren Gedanken zu ahnen; sie schwatzten und redeten, kauften
und verkauften, vertieft in ihre Alltagsgeschäfte.
    »Ich glaube, Ihr
habt recht, Sir John. Der Mord an Allingham wurde gut geplant, und
der Mörder wohnt in diesem Haus.« Er zog seine Kapuze
über den Kopf, um sich vor der heißen Mittagssonne zu
schützen. »Sollen wir unsere Pferde
holen?«
    Sir John schaute
betreten weg.
    »Sir
John«, wiederholte Athelstan. »Die Pferde —
sollen wir sie holen?«
    Cranston stieß
einen Seufzer aus, schüttelte den Kopf und schaute Athelstan
flehentlich an. »Ich habe schlechte Nachrichten, Bruder. Wir
sind nach Westminster befohlen. Oberrichter Fortescue findet, wir
hätten mit unserer Jagd nach Irrlichtern, wie er sich
ausdrückt, nun genug Zeit und Staatsgelder verschwendet. Er
wünscht, daß wir Rechenschaft ablegen. Aber bevor ich
den Blick auf sein elendes Antlitz richte, gedenke ich mir soviel
vom spanischen Weißen einzuverleiben, wie ich kann. Bist du
dabei?«
    Zum erstenmal teilte
Athelstan vollständig Sir Johns Wunsch nach Erfrischung.
Schnell gingen sie durch die Cheapside zur Fleet Street und dort in
den >Sarazenenkopf<, ein kühles, dunkles Wirtshaus
abseits der Hauptstraße. Athelstan war erfreut zu sehen,
daß es leer war, und bestand darauf, diesmal den Gastgeber zu
spielen. Er befahl dem Wirt, zwei Krüge mit schäumendem
Ale und, da es Freitag war, nicht Fleisch, sondern eine
Schüssel Neunaugen sowie weißes Brot für ihn und
Sir John zu bringen. Cranston stürzte sich auf das Essen wie
ein hungriger Wolf, schmatzte, trank seinen Bierkrug leer und
brüllte nach dem Schankburschen, damit er ihn wieder
fülle. Als der erste Hunger gestillt war, nahm Cranston den
Bruder ins Verhör.
    »Also, Bruder,
was denkst du? Gibt es eine Lösung? Du bist ein Philosoph,
Athelstan - aber hat nicht einer eurer berühmten Theologen
gesagt: >Von nichts kommt nichtsnihilo?«
    »Es muß
eine Antwort geben.« Athelstan lehnte sich an die kühle
Steinwand in seinem Rücken. »Als ich Logik studiert
habe, lernten wir eine zentrale Wahrheit: Wenn das Problem
existiert, muß es eine Lösung geben. Ohne Lösung
kein Problem. Folglich: Wenn wir es hier mit einem Problem zu tun
haben, muß es dafür eine Lösung
geben.«
    Cranston rülpste
und blinzelte Athelstan an. »Wo hast du denn das
gelernt?« neckte er.
    »Die Logik wird
dieses Problem lösen«, beharrte Athelstan. »Sie
und die Beweise. Das Problem ist, Sir John: Wir haben noch keine
Beweise. Aber ohne sie können wir keine Prämisse
aufstellen. Wir sind wie zwei Männer am Rande eines Abgrunds.
Eine tiefe Kluft trennt uns von der anderen Seite, und nun halten
wir Ausschau nach einer Brücke.« Athelstan schwieg einen
Augenblick und fuhr dann fort. »Uns werden die Beweise als
Brücke dienen, die Lösung der Rätsel um die
Bibelverse und den Schuhmacher.«
    Cranston
schüttelte den Kopf. »Wir hätten noch einmal mit
Allingham reden sollen.«
    »Wir haben es ja
versucht, Sir John, aber er hat sich geweigert, uns zu vertrauen -
obwohl er, da stimme ich Euch zu, etwas gewußt hat. Ich
denke, erwollte entweder fliehen oder aber den Mörder
erpressen, ohne uns etwas zu sagen. Er beging nur einen Fehler. Er
unterschätzte die Bösartigkeit seiner
Gegner.«
    »Wie kommst du
darauf?«
    Athelstan nagte an der
Lippe, umfaßte seinen Bierkrug mit beiden Händen und
spürte dessen Kühle. »Sie genießen ihr
Treiben. Sie schmieden Ränke, sie entwickeln Strategien, sie
schaffen Verwirrung, wo sie können. Sie verfolgen nicht nur
ein bestimmtes Wild, nämlich die Geheimnisse und Rätsel
von Sir Thomas, sondern ich denke, sie haben auch Freude am
Töten. Sie sind unerträglich arrogant. Satan hat in ihren
Seelen sein Lager aufgeschlagen. Mit einem Wort, Sir John: Sie
genießen, was sie tun, wie Ihr es genießt, einen Becher
Roten zu trinken oder Karten zu spielen oder mich zu verspotten.
Mord ist für sie inzwischen Teil ihres Lebens, ein Stück
vom Gewebe ihrer Seele. Sie werden weiter morden - aus Gewinnsucht
und um sich zu schützen, aber auch, weil sie es wollen. Um so
lieber, wenn sie uns dabei im dunkeln tappen sehen. Je mehr wir
umhertappen, desto mehr Spaß bereiten wir
ihnen.«
    Ein Frösteln
überlief Sir John, und er schaute sich in der Schänke um.
Zum erstenmal empfand er Unbehagen, ein Prickeln im Nacken, ein
Gefühl von

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