Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
nervös mit den Zierborten an seiner Kleidung. »Dann geh davon aus, daß es aufhört. Ich werde dieser Sache auf den Grund gehen, das verspreche ich dir.«
Lügen! Alles Lügen! Verzweiflung und Verwirrung schlugen wie eine Flutwelle über ihr zusammen. Doch seine ganze Haltung drückte Aufrichtigkeit aus. Sie unterdrückte ein Schluchzen und schlug die Hände vor die Brust.
»Rachel«, sagte er mit sanfter Stimme. Als sie nicht reagierte, erhob er sich und beugte sich über sie. »Rachel? Bitte, schau mich an.«
Sie ließ die Hände sinken und stellte fest, daß er neben ihr auf dem Boden kniete.
»Adom, was ist mit Ornias? Ist es möglich, daß er ohne dein Wissen gehandelt hat?«
Er senkte den Blick. »Falls ja, warum hat Milcom mir nichts davon gesagt? Er hat mir immer alles erzählt.«
»Vielleicht wußte er auch nichts davon?«
»Gott weiß alles.«
»Warum sollte er es dir dann nicht sagen?«
»Vielleicht hatte er Angst, ich könnte etwas Dummes tun. Manchmal … tue ich das.« Beschämt schaute er zu ihr auf, erhob sich dann und schritt auf und ab.
»Warum könnte Ornias befehlen, daß die Alten Gläubigen vernichtet werden?«
»Ich weiß es nicht. Aber er hat immer behauptet, seine Methoden, die Rebellion einzudämmen, wären ›sauber‹. Ich habe ihn nie gefragt, was er damit meint. Die Welt dort draußen ist seine Angelegenheit, verstehst du. Ich kümmere mich um die spirituellen Belange und er sich um die weltlichen.«
»Er kümmert sich sehr gut darum«, erklärte sie aufgebracht. »Auf der anderen Seite der Stadt flüchten die Menschen noch immer vor seinen Marines.«
Sie betrachtete seine vom Schein der Kerzen beleuchteten Züge. Jede Linie seines betroffenen Gesichts schien zu beweisen, daß er wirklich nichts gewußt hatte. Doch welchen Unterschied machte das schon? Ornias war offensichtlich die wahre Macht auf Horeb. Konnte Adom überhaupt etwas tun, um die Befehle zu weiteren Massenmorden zu widerrufen, die der Hohe Ratsherr bereits erteilt haben mochte?
»Rachel, bist du noch hungrig?«
Sie schüttelte den Kopf. Sie war viel zu erregt, um jetzt etwas zu essen.
»Könntest du … würdest du mit mir in den Garten gehen? Wenn du mir erzählst, was in den letzten Monaten in deinem Stadtviertel geschehen ist, bin ich vielleicht eher in der Lage, alles zu verstehen.«
Sie erhob sich unsicher. »Ja, das … das kann ich tun.« Allerdings wußte sich nicht, welchen Nutzen es haben sollte, ihm von den Schrecknissen der letzten Zeit zu berichten. »Laß mich nur meinen Mantel holen. Ich treffe dich dann …«
»Nein, nicht nötig«, sagte er und holte schnell einen prachtvollen elfenbeinfarbenen Umhang aus seinem Schrank. »Bitte, nimm meinen.«
»Danke.«
Er legte ihr das Kleidungsstück um die Schultern und fragte: »Wird dir auch warm genug sein?«
Sie schaute nach unten und sah, daß der Rand des Umhangs über den Boden schleifte. »Ich werde den Saum im taunassen Gras ruinieren.«
»Das ist mir gleich.«
Er holte einen schwarzen Samtumhang aus dem Schrank und legte ihn sich selbst um. »Komm. Wir können unser Abendessen auf dem Weg nach unten in der Küche abbestellen.«
Sybil saß auf dem braunen Teppich in Avels Zimmer. Das Feuer im Kamin knisterte und wärmte ihr den Rücken. Avel stand neben seiner Schlafmatte und wühlte in einer Kiste nach einem Buch mit alten Märchen.
»Avel?«
»Hm?« brummte er, ohne aufzublicken.
»Eines Tages werde ich eine hübsche Halskette haben.«
Er entdeckte das gesuchte Buch und kam zu ihr zurück. Er setzte sich mit gekreuzten Beinen neben sie und legte ihr das Buch in den Schoß. »Hier ist es. Grimlins Märchen. Es wird dir gefallen.«
»Hast du jemals eine Halskette gesehen, die wie eine leuchtende Kugel aussieht, Avel?«
Er runzelte die Stirn. »Nein. Aber das berüchtigte Mea sieht so aus. Wo hast du davon gehört?«
Sybil ließ ihre Finger über das Buch gleiten. Das Titelbild zeigte einen Jungen und ein Mädchen, die am Ufer eines Flusses spielten. »Ach, ich habe letzte Nacht davon geträumt. Meine Mom wird es mir geben, wenn ich alt genug bin.«
»Ich hoffe, du hast recht. Denn das würde bedeuten, daß noch immer ein Mea existiert.«
»Wie ist es im Innern des Palastes, Avel? In meinem Traum habe ich meine Mom dort gesehen, wie sie die Halskette trug.«
»Tut mir leid, Sybil, ich bin nie im Palast gewesen. Ich weiß nicht, wie es dort aussieht.«
»Ich glaube, es gibt dort rosa Wände und große Statuen.«
Er zog
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