Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
machten. Er hatte die einzelnen Captains identifiziert und anhand von aufgeschnappten Gesprächen auch festgestellt, welche von ihnen mit besonderer Brutalität vorgingen, und wer sich noch wie ein menschliches Wesen benahm. Der große rothaarige Mann mit dem runden Gesicht, der jetzt vorn an der Ecke stand, schien ein besonders treuer Anhänger Milcoms zu sein. Jeremiel hatte mehrfach gehört, wie er sich über das Problem des Bösen unterhielt, von der Hierarchie der Dämonen sprach und über Gottes Gründe, deren Existenz zu dulden. Wenn der Mann nicht gerade voller Furcht über die Mächte der Finsternis diskutierte, klang seine Stimme sanft und angenehm. Im Grunde seines Herzens war er ein freundlicher Mensch, vermutete Jeremiel. Erst heute Morgen hatte der Rothaarige einen seiner Untergebenen ertappt, der im Schatten des Palasts ein Nickerchen gemacht hatte. Statt in wütendes Gebrüll auszubrechen, hatte er den Mann lediglich mit der Stiefelspitze angestoßen und ihn schweigend und vorwurfsvoll angeblickt.
Er hieß Elaysin.
Jeremiel bewegte sich wie ein Nebelstreif durch die Schatten, bis er die Straße erreicht hatte, die zum Palast führte. Er warf einen Blick auf die hohe Mauer und schluckte schwer. Seit seinem Gespräch mit Sybil wurde er das Gefühl nicht los, in eine Falle zu tappen.
»Spielt keine Rolle«, flüsterte er sich selbst zu und schob den kleinen Rucksack auf seinen Schultern zurecht. »Rachel ist dort drin.«
Er überlegte kurz, weshalb einem Mann mit seiner Erfahrung kein besserer Plan eingefallen war, stieß dann einen markerschütternden Schrei aus und rannte wie ein Verrückter auf das Wachhäuschen am Tor zu. Die Wächter sprangen auf und stürmten zum Eingang, um festzustellen, was da vor sich ging. Der ganze Hof hallte von durcheinanderrufenden Stimmen und Stiefelgetrappel wider.
»Helft mir!« schrie Jeremiel und warf angsterfüllte Blicke über die Schulter, während seine Finger das Torgitter umklammerten. »Sie kommen! Sie kommen! Um Gottes willen, laßt mich herein, bevor …«
»Wer kommt?«
»Die Beliels! Sie jagen mich schon seit …«
»Dämonen?« stieß einer der Männer hervor und wich vom Tor zurück, während er ängstlich die Dunkelheit hinter Jeremiel absuchte. »Diese Ungeheuer, die die Seuche verbreitet haben?«
»Ich muß mit dem Mashiah sprechen«, flehte Jeremiel schluchzend. »Sie haben mich tagelang gequält und ich …«
»Mach schon, verschwinde von hier«, rief ein schielender Sergeant und trat fest gegen das Gitter, um Jeremiel abzuschütteln. Doch der hielt sich verzweifelt fest.
»Elaysin! Wer heißt hier Elaysin?«
Der Captain versteifte sich, sagte jedoch nichts, als sich aller Augen auf ihn richteten.
Hektisch fuhr Jeremiel fort: »Die Dämonen planen einen Angriff auf den Palast. Sie haben vor, Elaysin gefangenzunehmen, um ihn als Köder zu benutzen. Ich muß es dem Mashiah berichten. Wir alle sind in größter Gefahr!«
Ein Durcheinander von Stimmen erhob sich. »Heiliger Milcom, vielleicht steht uns eine neue Seuche bevor!«
»Er ist verrückt. Glaubt nichts von dem, was er erzählt.«
»Dämonen? O Herr, wie sollen wir die bekämpfen? Unsere Waffen sind nutzlos. Wir werden vernichtet …«
Captain Elaysin drängte sich durch die Menge und betrachtete Jeremiel ernst. »Beliels?« fragte er furchtsam. »Das sind schreckliche Wesen. Sie … sie haben meinen Namen erwähnt?«
»Sie müssen Elaysin sein«, flüsterte Jeremiel heiser und schluckte schwer. »Lieber Gott, wußten Sie, daß sie hinter Ihnen her sind?«
»Nein, ich … manchmal kam es mir so vor, aber ich war mir nicht sicher.«
»Captain, bitte, ich flehe Sie an. Ich muß mit dem Mashiah sprechen, bevor es zu spät ist.«
»Öffnet das Tor«, befahl Elaysin rasch. »Wir müssen diesen Mann verhören.«
Das Tor schwang kreischend auf, und die Soldaten umklammerten ihre Gewehre fester, während sie in die Dunkelheit spähten. Jeremiel schlüpfte durch den Spalt und zischte: »Schließt das Tor wieder! Rasch!«
Der Torwächter betätigte den entsprechenden Hebel und das Gitter schloß sich mit einem lauten Geräusch. Kräftige Hände packten Jeremiel, zogen ihm das Bündel von den Schultern und schleuderten ihn brutal gegen die Steinmauer. Er hob die Arme über den Kopf und ließ sich von den Soldaten durchsuchen.
Der logisch denkende Teil seines Gehirns, der auch morgens um drei noch in der Lage war, einen Schlachtplan auszuarbeiten oder komplizierte navigatorische
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