Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
hervorbringt.«
Rachel stützte die Ellbogen auf den Tisch und beugte sich etwas vor. Ihre Brüste stemmten sich gegen den Stoff des Kleides, und Adom bemühte sich, den Anblick zu ignorieren.
»Es ist also das Chaos, das Gott fasziniert?«
»O ja. Je mehr, desto besser, wenn es nach ihm geht. Er hat die ersten beiden Universen zerstört, weil es ihnen daran mangelte.«
Sie lachte leise. »So, wie die alten Mythen es berichten? Nur das Dritte fand Gnade vor seinen Augen?«
»Das sind keine Mythen. Das Dritte hat nur überlebt, weil die anderen Engel nicht klug genug waren, um sich Milcoms Meinung anzuschließen, es sollte ebenfalls zerstört werden.«
»Dann existieren wir also nur, weil Milcom es nicht geschafft hat, Gott davon zu überzeugen, daß mehr Chaos schlecht ist?«
»Genau.«
Sie räusperte sich ungläubig. »Das Chaos bedingt das Böse, nehme ich an?«
»Ja, erkennst du das denn nicht? Die wahre Natur des Universums besteht im chaotischen Kampf gegen sich selbst. Wir erfahren diesen Kampf als Leid.«
Rachel spielte nachdenklich mit ihrem Glas. »Da gibt es aber einen logischen Bruch, Adom.«
Er runzelte die Stirn. Tatsächlich? Milcom hatte davon nie etwas erwähnt. »Welchen?«
»Welcher Katalysator hat die Zellen aus Epagaels Gehirn zur ersten Teilung angeregt? Weshalb sind die Hüllen des Lichts zerbrochen?«
Adom zupfte nachdenklich an einer Locke seines blonden Haars. »Ich erinnere mich, daß Milcom einmal sarkastisch etwas erwähnt hat, das er als Reshimu bezeichnete und das der Schöpfung den ersten Tritt verpaßt haben soll. Aber ich habe nie nachgefragt, was er damit meinte.«
»Hm. Nun, mich stört noch etwas anderes. Wenn Epagael das Universum nicht betreten kann, woher soll er dann wissen, daß wir leiden? Und wenn er es nicht weiß, wie kann er dann böse sein?«
»Oh, er weiß es. Milcom hat es ihm wieder und wieder berichtet.«
»Epagael weiß Bescheid und läßt das Leid zu? Hat er nicht die Macht, es zu beenden?«
»Er ist keineswegs machtlos. Er müßte lediglich das Bewußtsein in diesem Universum töten, welches das Chaos verbreitet.«
Sie erschauerte sichtlich. »Wie könnte er das tun?«
»Ich weiß es nicht. Milcom hat nie mit mir darüber gesprochen.«
»Nun, nehmen wir einmal an, Epagael könnte das Chaos ›töten‹ und so unser Leiden beenden. Warum tut er es dann nicht?«
Adom nippte an seinem Weinbrand. »Milcom sagt, es unterhält ihn.«
»Das ist grausam.«
»Genau deshalb haßt Milcom ihn.«
»Können wir denn das Leiden jemals beenden? Aus eigener Kraft, meine ich?«
»Milcom lehrt, daß der Zweck unserer Existenz darin besteht, das Universum zu Epagael zurückzuführen. Nur dann wird das Leiden ein Ende haben.«
»Adom, das hört sich so an, als meinte Milcom damit, wir müßten das Universum zerstören.«
»Richtig.«
Sie lachte leise. »Das ist doch sicher ein Scherz. Im Universum gibt es doch auch Schönheit und Freude. Wie könnte er wollen …«
»Schönheit existiert nur, weil es auch Häßliches gibt. Das Gute nur, weil es auch das Böse gibt. Dichotomie ist der Ursprung von allem. Gott und Nicht-Gott. Jetzt sag mir, was in unserem Leben vorherrscht – das Glück oder das Leid?«
Ihre Hand verkrampfte sich um das Glas. »Das Leid.«
Schmerz durchfuhr Adoms Brust. Er ahnte, in welcher Richtung sich ihre Gedanken bewegten. »Ja. Die ganze Sache ist schon vor langer, langer Zeit auf die schiefe Bahn geraten. Seit Milliarden von Jahren hat es kein Gleichgewicht zwischen Gut und Böse gegeben. Und mit jedem Moment, den die Schöpfung weiterhin besteht, wächst das Böse. Das Chaos breitet sich im Universum aus wie ein Krebsgeschwür.«
Sie lächelte schwach. »Entropie?«
»Du kannst es so nennen.«
»Aber würde nicht die natürliche Kulminierung der Entropie das Leiden beenden?«
»Nein«, seufzte er. Es schmerzte ihn stets, an diesen Teil von Milcoms Lehre zu denken. »Die letzte, ultimate Dichotomie bleibt weiterhin bestehen: Epagael und das Nichts. Er wird weiterhin in der Lage sein, die Leere zu benutzen, um neues Leid zu schaffen, wann immer es ihm gefällt. Wir müssen dafür sorgen, daß er das Elend des Universums selber spürt.«
»Und das tun wir, indem wir es zu ihm zurückführen?«
»Ja.«
Sie leerte ihr Glas. »Und wie sollen wir Epagael unser Universum um die Ohren schlagen?«
Adom hob die Schultern. »Milcom hat mir das nie genau erklärt. Er meinte nur, es hinge mit der nackten Singularität zusammen, aber ich
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