Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
die Statuen und die prächtigen Teppiche, an denen er vorüberkam. Er hatte ihr erzählt, er wollte mit ihr über Milcom sprechen, doch das war nur ein Vorwand gewesen. Seit einer Woche kreisten seine Gedanken fast ausschließlich um sie, und selbst in seinen Träumen tauchte ihr süßes Antlitz immer wieder auf. Er wünschte sich nichts anderes, als möglichst oft in ihrer Nähe zu sein.
Sie fürchtete sich vor ihm. Jedesmal, wenn sie einander beim Abendessen gegenübersaßen, spürte er es deutlich, und er wußte nicht, was er dagegen tun konnte. In seinem ganzen Leben war es noch nie vorgekommen, daß jemand ihn fürchtete. Vor einigen Jahren, als er noch auf der Straße gelebt und gepredigt hatte, hatten viele Menschen ihn verachtet. Und jetzt gab es viele, die ihn bewunderten. Doch Furcht? Ihr Gesicht verhärtete sich bei seinem Anblick, und dabei wünschte er sich nichts sehnlicher, als sie zu streicheln und die Schmerzen zu lindern, die seine Herrschaft ihr zugefügt hatte.
Er spürte, wie Wut in ihm aufstieg. Ornias! Als er vor einigen Tagen abermals verlangt hatte, den Ratsherrn zu sprechen, hatte Ornias mit der Nachricht geantwortet, er sei leider zu beschäftigt, um gestört zu werden. Falls Adom aber unbedingt mit ihm sprechen müsse, könne er am Samstag nach dem Abendessen ein paar Minuten für ihn erübrigen.
»Brosamen von deinem Tisch, Ratsherr?«
Er versuchte, diese Behandlung gleichmütig hinzunehmen, doch sein Ärger darüber wurde kaum von der ständig wachsenden Anziehung überdeckt, die Rachel auf ihn ausübte. Rachel, Rachel, Rachel. Sie hatte ihm die Umstände geschildert, die zum Tod ihres Mannes geführt hatten, und obwohl Adom dagegen ankämpfte, steigerte der Gedanke, daß sie jetzt frei war, seine Hoffnungen. Noch nie zuvor hatte er für einen anderen Menschen so empfunden. Jeder Moment, den er’ fern von ihr verbrachte, erschien ihm als vergeudete Zeit, selbst wenn er sich dann mit wichtigen Problemen Horebs oder der gamantischen Zivilisation befaßte. Für ein Lächeln Rachels hätte er mit Freuden alles andere aufgegeben.
»Nicht alles«, verbesserte er sich schleunigst selbst. »Nicht Milcom oder seinen Weg der Güte und Gerechtigkeit.« Aber praktisch alles andere.
Er bog um eine Ecke und holte unwillkürlich tief Luft, bevor er an ihre Tür klopfte. »Rachel? Hier ist Adom.«
Von drinnen erklang das Geräusch von raschelndem Stoff; dann wurde die Tür geöffnet. Er lächelte angesichts ihrer Schönheit. Sie trug ein safranfarbenes Gewand, das ihre schlanke Taille und die sanfte Rundung ihrer Hüften betonte. Das Mea Shearim ruhte strahlend zwischen ihren Brüsten.
»Es tut mir leid, daß ich zu spät komme. Ein Diener hat mich …«
»Du bist nicht zu spät«, unterbrach sie ihn und öffnete die Tür weiter. »Bitte, komm herein.«
»Ich habe dir das hier mitgebracht«, meinte er nervös und überreichte ihr das Geschenk. »Hoffentlich gefällt es dir.«
»Adom, du darfst mir nicht so viele Geschenke machen. Ich komme mir dann vor wie …«
»Aber es macht mich glücklich, wenn ich sehe, wie deine Augen aufleuchten. Bitte, mach es auf.«
Rachel seufzte resigniert und klappte den Deckel der Schachtel auf. Ihr Mund öffnete sich ein wenig, als sie den juwelenbesetzten Kamm herausnahm. »Der ist ja wunderschön, Adom. Sind das lytalionische Saphire?«
Er nickte. Die Rotkehlcheneierfarbe war einzigartig. »Ich hatte gehofft, sie würden zum Mea passen. Aber wie ich sehe, sind sie ein wenig dunkler.«
»Es harmoniert aber durchaus mit dem Mea. Siehst du?« Sie schob sich den Kamm ins Haar, wo er die dunkle Fülle bändigte.
Adom lächelte zustimmend und schaute sich dann in ihrem Zimmer um. Seine Diener hatten offenbar gute Arbeit geleistet, als sie den Raum herrichteten. Die Bezüge auf dem großen Messingbett paßten ausgezeichnet zu den Teppichen. Auf dem Tisch vor dem steinernen Kamin stand neben einer Vase mit frischen Blumen eine Kristallkaraffe mit Weinbrand. Die Blumen stammten aus den feuchten Höhlen unter dem Palast, wo sie bei künstlicher Beleuchtung herangezogen wurden.
»Wie … wie geht es dir?« stammelte er unsicher. »Entspricht alles deinen Wünschen? Kümmern sich die Diener …«
»Es ist alles perfekt, Adom. Ich komme mir schon wie eine Prinzessin vor.«
»Ich möchte auch, daß du dich so fühlst.«
Sie senkte den Blick und ging zum Tisch hinüber, als wolle sie seiner Nähe entkommen. Ihr Verhalten berührte ihn schmerzlich.
»Darf ich dir
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