Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
Töte ihn jetzt. Eine so perfekte Chance bekommst du vielleicht nie wieder. Das Messer drückte kalt gegen ihre Wade.
Adom wandte sich ab, um die Tür zu schließen, und drehte ihr dabei den Rücken zu. Sie starrte die Stelle zwischen seinen Schulterblättern an, wo die Klinge mit Sicherheit die Lunge durchbohren würde. Ihre Hand glitt zum Stiefel hinab … und stockte, unfähig, den Messergriff zu packen. Sie konnte es nicht tun!
»Am Raumhafen wartet ein Samuel auf uns«, sagte er leise, während er sich umdrehte und ihre Hand nahm. »Ornias hat ein Regiment der Wache abgestellt, um uns dorthin zu eskortieren.«
»Ein Regiment?«
»Oh, mindestens. Ornias befürchtet, einer der Wüstenväter könnte versuchen, mich zu ermorden, bevor wir in Sicherheit sind.« Er lachte und schüttelte leicht amüsiert den Kopf, als sie den Korridor entlanggingen.
»Findest du das komisch?«
»Nun ja, ich habe dem Ratsherrn mehrfach gesagt, daß Gott mir versichert hat, ich würde nicht in Seir sterben.«
Rachel schluckte schwer. Sie könnte beweisen, daß sein Gott sich irrte. »Ornias glaubt nicht an Milcom?«
»Nein, aber das spielt jetzt auch keine Rolle mehr.«
»Wieso nicht?«
»Weil das Ende fast gekommen ist. Wenn Milcom den bevorstehenden Krieg gewinnt, wird nichts von alledem mehr existieren. Insofern ist es unwichtig, ob Ornias glaubt oder nicht.«
Sie bogen um eine Ecke und stiegen eine Treppe hinab. Unten konnte Rachel eine Messingtür erkennen. Davor hatten sich mehr als drei Dutzend Wachen in grauen Anzügen und silbernen Helmen versammelt. Auf der untersten Treppenstufe warteten Yosef und Ari.
Yosef leckte sich nervös über die Lippen, als der Mashiah und Rachel die Treppe hinunterkamen. Rasch ging er ihnen entgegen. »Verzeih mir, Mashiah«, sagte er höflich. »Im ganzen Palast verbreitet sich die Nachricht von deiner Abreise. Dürfte ich wohl kurz mit Rachel sprechen, bevor ihr geht?«
Adom runzelte die Stirn, meinte dann jedoch achselzuckend: »Bitte, verabschiede dich ruhig.« Er drückte Rachel kurz die Hand und ging dann zu Ornias hinunter, der unruhig zwischen den Wachen auf und ab ging.
Rachel blickte Yosef an. Er lächelte freundlich zurück und sah dabei den Schweiß auf ihrer Stirn. Rachel schaute immer wieder hinter Adom her. In ihren Augen zeigten sich Schmerz und noch etwas anderes. Verlangen? Bedauern?
»Was gibt’s, Mister Calas?«
»Ich habe eine Botschaft für Sie.«
»Von wem?«
»Jeremiel Baruch.«
Ihr Gesicht wurde blaß und die Augen weiteten sich. »Schnell! Was läßt er mir ausrichten?«
»Er sagt, Sie sollen den ursprünglichen Plan ausführen.«
Sie zuckte zusammen. »Wirklich …?«
»Ja.«
»Sagen Sie ihm, ich … ich kann nicht.«
Tränen traten in ihre Augen, als sie zu Adom hinüberschaute. Offensichtlich sorgte sie sich um den Jungen. Waren sie Liebende? Ja, vermutete Yosef. Das arme Mädchen. Es mußte ihr schier das Herz zerreißen. »Ich weiß, es ist eine furchtbare Pflicht, Rachel.«
»Sie verstehen das nicht. Adom ist genauso ein Opfer von Ornias’ Machenschaften wie wir alle!«
»Doch, das weiß ich. Und Jeremiel auch. Ari und ich haben es ihm letzte Nacht erklärt. Er kennt jetzt die Situation hier. Doch er meinte, dadurch würde sich nichts ändern. Sie müssen …«
»Letzte Nacht? Wo ist er?«
»Dort unten, als Wache verkleidet. Er wird Sie den größten Teil des Weges zum Raumhafen begleiten.«
»Wo?« Verzweifelt suchte sie mit den Augen die graugekleideten Männer ab. »Welcher ist es?«
»Rechts außen, unter der Lampe.«
Ihr Blick huschte hinüber, und sie sah den roten Bart unter dem halbgeschlossenen Visier. Ein schwaches Lächeln umspielte Jeremiels Lippen. Sie lächelte zurück, während sie Tränen der Erleichterung vergoß. »Bitte, Yosef, ich muß mit ihm reden. Ich muß ihm erklären, daß man Adom keinen Vorwurf machen kann.«
Sie wollte die Treppe hinabeilen, doch Yosef packte ihren Arm und hielt sie zurück. »Sie können nicht mit ihm sprechen. Wenn jemand Sie bei ihm sieht, sind Sie beide kompromittiert.«
»Aber ich muß. Ich muß! Es gibt etwas, das er nicht versteht.«
»Er versteht es, meine Liebe«, wiederholte Yosef. »Ari und ich haben ihm alles erzählt, was wir wissen. Aber er wollte den Plan nicht deswegen ändern. Wie Jeremiel sagt, ist der Mashiah immer noch die Galionsfigur. Sie müssen seinen Anhängern den Führer nehmen, sonst werden noch sehr viel mehr Menschen völlig sinnlos sterben. Es tut mir
Weitere Kostenlose Bücher