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Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan

Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan

Titel: Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen M. O'Neal
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zurückband. Adom hatte gesagt, die Schlacht hätte begonnen und sie sollte noch vor Sonnenaufgang wieder zu seinem Zimmer kommen. Von dort aus wollten sie sich dann zu den polaren Räumen begeben. Allerdings hörte sie kein Gewehrfeuer, und auch auf den Mauern befanden sich nicht mehr Wachen als sonst. Hatte er vielleicht gemeint, die Schlacht stünde kurz bevor?
    Doch ihr blieb keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Am Horizont wurde bereits ein schwaches, lavendelfarbenes Glühen sichtbar. Als sie mit schnellem Schritt den Raum durchquerte, fiel ihr Blick auf ihr Abbild im Spiegel, und sie blieb stehen. Leere dunkle Augen starrten sie an. Eine Zeit für Tränen, dieser Tag, nachdem du dich selbst betrogen hast.
    »Aber ich habe damit meinen Status hier gesichert, Jeremiel«, murmelte sie, als wäre er es, der sie anschaute. »Als du gesagt hast, ich müßte es nicht tun, konntest du nicht ahnen, in welche Situation Ornias mich bringen würde. Ich habe es getan. Ich mußte es tun.«
    Sie riß ihren Blick los, lief zum Wandschrank, kramte die Sachen heraus und warf sie ungeachtet der teuren Stoffe aufs Bett. Adom suchte ihre Gedanken wie ein bleicher Geist heim. Der verletzliche Ausdruck in seinen Augen verunsicherte sie, und seine unschuldigen Worte der Liebe peinigten ihre Seele. Ein Junge, nichts als ein Junge. Doch als sie miteinander schliefen, hatte er sich zurückgehalten wie ein Mann, der seine Leidenschaft ein wenig zügelt, als hätte er Angst, sie zu erschrecken.
    »Was ist mit dem Haß geschehen, der dich immer angetrieben hat? Verdammt sollst du sein!« schalt sie sich selbst. »Was ist aus dem Racheversprechen geworden, daß du dir damals auf dem Platz gegeben hast?«
    Sie fühlte sich plötzlich beschämt angesichts der Antwort: Ihre Feindseligkeit war von Adoms Sanftmut aufgezehrt worden.
    »Jeremiel, wo bist du? Du hast versprochen, du würdest kommen. Ich brauche dich! Ich … ich kann Adom nicht töten.«
    Sie ballte die Fäuste und schloß die Augen. Was würde geschehen, wenn sie es nicht schaffte, ihren Teil des Schlachtplans auszuführen?
    »Ich weiß nicht einmal, ob der Plan überhaupt schon angelaufen ist«, versuchte sie sich zu rechtfertigen. »Vielleicht ist die ganze Sache ja abgeblasen worden und ich wurde nicht davon unterrichtet, weil Jeremiel es nicht geschafft hat, Ornias Sicherheitskordon um den Palast zu durchbrechen.« Sie schluckte schwer. Ja, und vielleicht geht morgen auch die Sonne nicht wieder auf. Es ist Baruch, von dem du da redest. Wenn er nicht gekommen ist, hatte das andere Gründe – strategische vermutlich. Du kannst nicht einfach willkürlich die Pläne ändern! Hör auf, dich selbst zu quälen! Im Krieg gibt es viele unschuldige Opfer.
    Aber Adom … Adom …
    »Denk an die Alten Gläubigen, die noch immer auf der anderen Seite der Stadt leiden.« Sie rief sich die Gesichter ins Gedächtnis. Talo tauchte vor ihr auf, dessen Augen am Tag des Holocaust in trotzigem Glauben geleuchtet hatten. Und andere. Jeder fragte sie stumm, wie sie überhaupt zögern konnte.
    »Man kann es ihm nicht vorwerfen!«
    Sie holte den Rucksack aus dem Schrank und stopfte ihre Kleidung hinein. Als sie die Seitentasche öffnete, um ihre Strümpfe dort unterzubringen, blinkte das Messer auf, das sie ein paar Tage zuvor bei einer ihrer Mahlzeiten gestohlen hatte. Ihre Hand schreckte unwillkürlich zurück, als würde dort eine Giftschlange lauern.
    Ihr Herz klopfte, als sie die schweißnassen Hände an ihrem Overall abwischte. Nimm es. Nimm es, verdammt!
    Mit zitternden Fingern nahm sie das Messer aus der Tasche und versteckte es in einem ihrer schwarzen Stiefel.
    Sie warf einen Blick aus dem Fenster und sah, daß der Horizont sich mittlerweile dunkelrot verfärbt hatte. In der Ferne standen die Hügel wie einsame Wächter, die schweigend die geheimen Höhlen der Wüstenväter bewachten. Hoffnung keimte in ihr auf.
    Sie nahm den Rucksack, rannte aus dem Zimmer und den Flur entlang. Als sie Adoms Tür erreichte, standen Tränen in ihren Augen.
    »Adom?«
    Er öffnete die Tür und trat auf den Flur. Seinen Rucksack hatte er schon bei sich. Der schwarze Umhang, den er trug, bedeckte den größten Teil seines weißen Overalls. Er ließ den Blick über sie gleiten und meinte: »Du siehst gut aus. Ich hoffe, ich habe dich nicht zu sehr gehetzt. Aber wir müssen uns beeilen.«
    »Ist schon in Ordnung. Ich bin fertig.« Sie hielt seinem warmen Blick stand. In ihrem Innern schrie eine Stimme: Jetzt!

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