Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
das jetzt noch aus?«
»Sehr viel, vielleicht. Nimm einmal an, diese Burschen, die wir eben in Ketten gelegt haben, gehören zu seinen Leuten. Vielleicht wartet seine Armee ja schon oben in den Hügeln darauf, über uns herzufallen.«
»Baruch, der Gamanten überfällt? Das glaube ich nicht.«
»Eigentlich sind wir ja gar keine richtigen Gamanten. Wir glauben an einen anderen Gott. Milcom …«
»Rede jetzt nicht davon, Sam! Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß der Mashiah tot ist. Es … es bereitet mir Magenschmerzen.«
Yosef schloß die Augen. War das der Grund, warum der Beschuß aufgehört hatte? Hatte Rachel Adoms Anhänger entmutigt? Befanden sich Ornias’ Truppen auf der Flucht? Doch zu welchem Preis?
Ari schaute Yosef an und wisperte: »Wir müssen dort hinein und diese Männer befreien.«
»Aber wenn sie nicht zu Jeremiels Leuten gehören? Wenn …«
»Spielt keine Rolle. Jeder, den dieser häßliche Ratsherr in seinem Schreckenskabinett anketten läßt, verdient es, gerettet zu werden.«
»Aber wie?« fragte Yosef.
Aris Gesicht verdüsterte sich. Wortlos zog er die Pistole aus dem Gürtel.
Yosef tastete nach seiner eigenen Waffe, zuckte jedoch vor der Berührung zurück. »Ari, ich … ich weiß nicht, ob ich das …«
»Du mußt das auch nicht tun, Yosef. Bleib einfach hier und deck’ mir den Rücken.«
»Nein«, sagte Yosef leise. »Ich lasse dich nicht allein gehen.« Er zog ungeschickt die Pistole, rückte die Brille zurecht und meinte: »Also los, gehen wir.«
Gemeinsam bogen sie um die Ecke. Die Wachen sprangen auf und griffen nach ihren Waffen.
»Nicht!« rief Ari und zielte auf den Magen des Korporals. Die Männer hoben die Hände.
»Seid ihr nicht die Assistenten des Mashiah?« fragte der Korporal und leckte sich nervös über die Lippen.
»Ja. Öffnet die Tür.«
»Ich begreife das nicht, alter Mann. Habt ihr euch entschlossen, die Seiten zu wechseln, als ihr von seinem Tod gehört habt? Verdammt, gerade jetzt müssen wir doch zusammenhalten. Der Ratsherr sagt, der Mashiah hätte von jenseits des Grabes zu ihm gesprochen.«
»Öffnet die Tür!«
»In Ordnung. Nur nicht nervös werden.« Der Korporal nahm seinen Schlüsselbund und öffnete die Tür. Der andere Soldat blieb stocksteif stehen und ließ die Augen nicht von Aris Waffe.
»Yosef«, sagte Ari, »sieh nach, wer dort drin ist. Ich bleibe an der Tür und behalte die beiden hier im Auge.«
Yosef ging an Ari vorbei durch die Tür und blieb wie angewurzelt stehen. Vier Männer hingen angekettet an der Wand, ihre Füße schwebten ein Stück über dem Boden. Einer von ihnen mußte schon seit Wochen tot sein. Das eingefallene Gesicht war schmerzverzerrt, der Mund stand offen, und die toten Augen starrten blicklos zur Decke. Yosef schaute ihn erschüttert an. Er schien ein gutaussehender Mann gewesen zu sein. Handelte es sich bei ihm um ein weiteres unschuldiges Opfer dieses schrecklichen Krieges? Könnte er vielleicht heute noch leben, wenn er und Ari damals wie geplant hier heruntergekommen wären? In jener Nacht, als sie beobachtet hatten, wie Jeremiel von den Soldaten die Treppen hinaufgezerrt worden war?
Er richtete seinen Blick auf die Lebenden. »Gehört ihr zu Jeremiels Truppen?«
»Ja«, erklärte einer der Gefangenen, ein grauhaariger Mann. »Hat er Sie geschickt, um uns zu retten?«
»Nein, wir …«
Draußen auf dem Gang erklang das schrille Sirren eines Gewehrs. Ari stolperte in den Raum hinein und stieß Yosef zu Boden. Weitere Schüsse heulten, Schreie ertönten … und dann herrschte plötzlich Stille. Yosef rappelte sich auf und lief zur Tür. Die Wachen lagen tot auf dem Boden und zwei Männer in grauen Uniformen näherten sich.
»Kommt aus dem Raum heraus!« befahl der große, schwarzhäutige Mann.
Yosef hob die Hände und trat auf den Korridor hinaus, doch Ari blieb zurück.
»Wer sind Sie?«
Mit zitternden Knien antwortete Yosef: »Wir sind loyale Anhänger des Mashiah und wir …«
»Harper?« rief der Grauhaarige in der Schreckenskammer. »Harper, um Gottes willen, holen Sie uns hier ’raus!«
»Bromy?« Der schwarzhäutige Mann stürmte vorwärts. »Wie hat man Sie gefangen, zum Teufel?«
»Jeremiels Plan hat wunderbar funktioniert. Jedenfalls solange, bis wir falsch abgebogen und einem Trupp Wachen in die Hände gelaufen sind.«
Yosef lächelte den blonden Mann an, der noch immer die Pistole auf seinen Bauch gerichtet hielt. »Sie gehören zu Jeremiels Streitmacht?«
»Ja. Und
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