Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
gesagt?«
»Nein, wir haben nichts dergleichen gehört. Allerdings hat er den Piloten angewiesen, aus dem Orbit zu verschwinden.«
Jeremiel stützte sich schwer auf den Tisch. »Tja, das war’s dann wohl.«
»Wie? Was soll das heißen?«
»Es heißt, daß du Ornias anrufen sollst. Operation ›Köder‹ ist gerade angelaufen.«
»Oh«, Rathanial senkte den Kopf. »Jeremiel, verzeih mir. Es tut mir so leid …«
»Noch etwas.«
»Ja?«
»Rachel befindet sich noch immer irgendwo am Pol. Falls Tahn den Angriff abbläst, solltest du dich dorthin aufmachen und sie suchen!«
»Ich glaube nicht, daß das, noch … ich meine …« Der alte Mann machte eine Miene, als fürchte er, Jeremiel könnte ihn auf der Stelle umbringen.
»Wovon redest du eigentlich?«
»Ich wollte es vorhin schon erwähnen. Ornias hat bereits vier Samaels ausgeschickt. Selbst wenn ich zum Pol fliegen könnte, bezweifle ich …«
»Um Gottes willen«, flüsterte Jeremiel und schloß die Augen. Er konnte sich lebhaft vorstellen, welche Befehle der Ratsherr seinen Marines erteilt hatte. »Versuch es trotzdem, Rathanial. Du bist es ihr schuldig.«
Der alte Mann errötete und nickte. »Ich werde tun, was ich kann.«
»Ich brauche fünfzehn Minuten«, erklärte Jeremiel und machte sich zu seinem Zimmer auf, um ein paar seiner persönlichen Habseligkeiten zusammenzupacken.
Rachel stolperte durch das Auge eines schwarzen Zyklons. Sie hatte diesen Traum schon einmal gehabt, doch jetzt erschien er ihr sehr viel realer und erschreckender.
War sie gestorben? Hatte die eisige Kälte des Pols ihren Körper getötet und suchte ihre Seele jetzt nach dem Himmel? Die alten Lehren über Himmel und Hölle, Epagael und Aktariel kamen ihr wieder in den Sinn.
Rachel schnappte nach Luft, als eine Frau hoch zu Roß auf sie zuritt, ihr Schwert schwang und in einer unbekannten Sprache wütende Worte rief. Rachel wich aus, stürzte und krabbelte hektisch auf Händen und Knien weiter. »Epagael? Bitte, laß mich heimgehen. Ich flehe dich an. Mein kleines Mädchen braucht mich. Hol mich jetzt nicht fort!«
Es war ihr, als nähme sie weit vorn einen braunen Fleck wahr, doch er verschwand immer wieder aus ihrem Blickfeld.
»Epagael? Ich glaube. Ich glaube! Es tut mir leid, daß ich je gezweifelt habe.«
Ein feuriges Rad rollte durch die Finsternis auf sie zu. Sie bedeckte den Kopf mit ihren Armen und kreischte: »Laß mich heimgehen!«
Dann drang eine sanfte, ruhige Stimme in ihr Inneres. »Folge dem Licht«, drängte sie. »Das ist der Weg zu Gott.«
»Wer bist du?«
»Ein erfahrener Freund.«
Der braune Fleck vor ihr nahm langsam eine graue Färbung an. War das das Licht? Der Weg?
Rachel sprang auf und lief so schnell sie konnte. Der Fleck wurde größer, und der stechende Geruch von Ozon stieg ihr in die Nase.
»Rachel«, rief eine dunkle Stimme. »Es ist nicht mehr weit. Durchschreite das Tor.«
Ein Schauer überlief sie. Ihr ganzes Leben lang hatte sie davon geträumt, mit Gott zu sprechen. Reste ihres Kinderglaubens erwachten zu neuem Leben. Er würde alles erklären. Er konnte ihr sagen, weshalb es soviel Schmerz im Universum gab. Sie sehnte sich danach, zu ihm zu laufen und ihr Gesicht in seinem Gewand zu vergraben. »Epagael?«
»Ja. Ich habe sehr lange darauf gewartet, mit dir zu sprechen. Sterne wurden in der Zwischenzeit geboren und vergingen wieder.«
Rachel rannte vorwärts. Das Grau wechselte zu Orange und sie trat in einen prächtigen kristallenen Palast hinaus.
Zehn Schritte vor ihr verlief ein Fluß aus Feuer, dessen Hitze ihr fast den Atem nahm. Brücken überspannten die Flammenhölle.
»Rachel?«
Sie blickte über den Fluß. Ein weißer Schleier erhob sich vor einem Wirbel aus Schwärze. Die Stimme erklang aus dem dunklen Wirbel.
»Hat er dich betrogen?«
»W-wer?«
»Milcom?«
Rachel holte tief Luft. »Du meinst Aktariel? Nein, ich …«
»Ah, du weißt also, wer er ist. Gut. Seine Verderbtheit wuchert wie ein Krebs im Körper deines Universums.«
Rachel stand für einen Moment schweigend und am ganzen Körper zitternd da. War das ein Traum oder Realität? Das Tosen der feurigen Wellen. Das klaffende schwarze Loch. Das Strahlen der marmeladenfarbigen Wände. Das alles erschien ihr im Moment realer als die eisige Wildnis des Pols, wo sie, wie ihr bewußt war, jetzt schlief … oder … vielleicht war sie ja wirklich tot. Sie fühlte sich so schwach und müde. Wenn sie sich nur hinlegen und schlafen könnte, um dann beim
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