Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
hatte.
Shassy nahm abermals das Tablett auf, drückte es gegen ihre Brust, um es zu stabilisieren, und versuchte, sich an Ornias vorbei in Richtung Tür zu schieben. »Entschuldigen Sie bitte, Ratsherr, ich muß …«
Er verstellte ihr lächelnd den weg. »Ich glaube nicht, daß du heute nacht fort mußt, Shassy.«
»Aber ich …« Panik schwang in ihrer Stimme mit. »Der Palastbibliothekar will, daß ich …«
»Ich lasse ihn benachrichtigen, daß du nicht kommst. Er wird jemand anderen finden, der die Untersuchung alter Texte für den Mashiah fortsetzt.« Er machte eine abwertende Handbewegung. »Oder was auch immer Adom dir sonst an unnützen Spielereien aufgetragen hat, bevor er sich in seinen verdammten Gebetsraum zurückgezogen hat.«
Tränen schossen in Shassys Augen. »Nicht heute nacht, Ornias, bitte. Ich kann es nicht ertragen …«
»Jammere nicht, Shassy. Das ziemt sich nicht für eine Frau von deinem Rang. Auch wenn dieser Rang geheim sein mag.« Er nahm ihr das Tablett aus den Händen und stellte es auf den Boden. Als er sich wieder aufrichtete, hielt er in der Bewegung inne, um an ihren Brüsten zu knabbern, während seine Hände ihre Oberschenkel liebkosten. Jeder einzelne Muskel ihres Körpers versteifte sich. »Sei heute abend bitte etwas freundlicher, Liebes, ja? Es hat fast einen Monat gedauert, bis der Messerstich verheilt war, den du mir beim letzten Mal verpaßt hast. Ich habe zwar alle scharfen und schweren Gegenstände aus diesem Raum entfernt, aber es könnte dir immerhin einfallen, mich mit einem Kissen ersticken zu wollen – und darauf würde ich nicht sehr freundlich reagieren.« Er richtete sich ganz auf und blickte ihr mit einem grausamen Lächeln in die Augen. »Es wäre möglich, daß ich dir deswegen deinen süßen kleinen Hals breche.« Wie um seine Worte zu unterstreichen, ließ er seine Hand über ihre mahagonifarbene Kehle gleiten.
»Töten Sie mich, und Sie verlieren alles.«
»Das stimmt. Also werde ich dich lieber nur verletzen, hm?«
Trotzig wiederholte sie: »Ich werde nicht bleiben. Sie haben kein Recht, mich dazu zu zwingen.«
»O doch, ich habe durchaus das Recht. Ich bin der Herr von Horeb, und du bist nur ein Werkzeug …«
»Der Mashiah ist der Herr von Horeb! Er herrscht, nicht Sie.«
»Sei nicht albern. Das einzige, was Adom beherrscht, sind seine Körperfunktionen … und selbst da habe ich manchmal meine Zweifel. Davon abgesehen, wo ist er denn jetzt, da all die Rebellen nach ihm rufen, hm? Er hat sich in seinem Gebetsraum eingeschlossen, um sich seinen Wahnvorstellungen vom großen und mächtigen Milcom hinzugeben.«
Shassy trat gegen das Tablett. Glas explodierte splitternd. Ornias wich zur Seite, um den Spritzern auszuweichen, und Shassy schlüpfte an ihm vorbei und rannte zur Tür.
Ornias wartete geduldig, bis sie die Tür aufgerissen hatte, und bemerkte dann beiläufig: »Ich muß nur die Wachen anweisen, dich zurückzubringen, meine Liebe. Wäre es dir lieber, wenn ich es so mache? Soll ich ihnen dafür eine Belohnung anbieten? Sagen wir, eine Stunde allein mit dir?«
Als er hörte, wie ihre Schritte verhielten, wandte er sich um und meinte mitfühlend: »Sei doch vernünftig. Wir stecken beide in dieser Sache. Mein Ziel ist untrennbar mit dem deinen verbunden. Und Freiheit hat ihren Preis.«
Sie preßte die Augenlider zusammen, und ihre Lippen zitterten, als sie den Kopf senkte. Eine Ewigkeit schien zu vergehen; dann hob sie die Hand und schob die Tür ins Schloß.
KAPITEL
5
Die Höhlen von Kayan bildeten ein verwirrendes Labyrinth unter der üppig bewachsenen Oberfläche des Planeten. Schmale Gänge wanden sich auf einer Länge von vielen tausend Meilen durch den harten, zimtfarbenen Fels. In den finstersten Tiefen des Irrgartens gab es Höhlen, die nur Zadok bekannt waren.
Während er den Tunnel entlanghumpelte, zählte er die Abbiegungen. »Hunderteinundzwanzig.« Seine Lampe erleuchtete einen noch engeren Schacht.
Wenn Rathanial seine Anweisungen exakt befolgt hatte, sollte er jetzt in der kleinen Nische warten, die Zadok liebevoll das Sanctum nannte. Falls nicht, würden sie ihn hoffentlich ein paar Tage später verwirrt und verängstigt auf einer der höheren Ebenen wiederfinden. In den vergangenen zweihundert Jahren hatte er lediglich einen Besucher verloren. Und wenn er genauer darüber nachdachte, war das auch ganz gut so gewesen. Er hatte den starken Verdacht gehabt, daß es sich bei dem Mann um einen Spion der
Weitere Kostenlose Bücher