Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
Geruch von schalem Parfüm und Schweiß wahrnehmen konnte.
»Sag mir, was ihr braucht.«
Furcht loderte in Rathanials dunklen Augen. »Schreckliche Dinge geschehen.«
»Zum Beispiel?«
Rathanial holte tief Luft, und ein kurzer Schauder überlief ihn. »Abba, ich schwöre, ich habe getan, was ich konnte. Ich habe Pamphlete über die Bösartigkeit des Mashiah verteilt. Ich habe in der Wüste geheime Treffen mit den politischen Führern von Seir abgehalten …« Er schluckte. »Doch nicht einer hat auf mich gehört. Es liegt daran, daß Adom so ungeheures Charisma besitzt! Niemand sieht ihn so, wie er wirklich ist! Er wirkt so unschuldig und rein, daß die Menschen getäuscht werden! Und ich habe versucht …«
»Rathanial, sag mir Einzelheiten!«
Der weißhaarige Mann erhob sich und ging ein paar Schritte auf und ab. Seine Robe glitzerte wie Maisfasern bei Sonnenaufgang. Zadok bemerkte, wie sein Mund zitterte. Dann, als hätte man ihn überrascht, preßte Rathanial seine Finger fest auf die Lippen, um sie ruhig zu halten. »Es gibt … Lauscher bei all unseren Treffen, Abba.«
»Lauscher? Du meinst Verräter?«
»Nein, nein, ich meine … außerweltliche ›Zuhörer‹.«
Zadok saß bewegungslos da, während das gelbflackernde Licht über seine verwitterten Züge spielte. »Erkläre mir das.«
»Ich wünschte, ich könnte es, Abba. Ehrlich, wenn ich wüßte …«
»Versuch es.«
»Einige in unserer Gemeinschaft glauben, die Zuhörer sind Adoms Schutzengel. Der Mashiah behauptet, wundersame Dinge hätten sich bei seiner Geburt abgespielt, und er hat Zeugen, die das bestätigen.«
»Ist das nicht bei allen so?« Zadok rieb sich über den Nasenrücken und lächelte schwach. »Ständig tauchen Erlöser auf, wie Unkraut im Garten. Es ist unsere Pflicht, sie auszurupfen und unser gewohntes Leben weiterzuführen.«
»Dieser Erlöser ist anders.«
»Ach?«
Rathanial fuhr sich nervös durch das weiße Haar und nahm wieder Platz. »Es heißt, ein Mann von blendend weißer Gestalt sei an seiner Wiege aufgetaucht. Der Mann wickelte Adom Kemar Tartarus in eine Windel aus Feuer und gab ihm Flammen zu essen.«
»Demnach kennt er die alten Geschichten über Elijahs Geburt. Offenbar ist er gebildeter als die meisten anderen Scharlatane.«
»Seit er an der Macht ist, verdorrt das Gras.«
»Horeb ist eine Wüstenwelt. Dort gibt es so oder so kaum Gras. Ein paar Regentropfen mehr oder weniger, und schon …«
»Es ist kein natürliches Phänomen. Selbst in schlechten Jahren hatten wir immer genug Gras, um die Herden zu füttern.«
»Ach.« Zadok hob skeptisch die buschigen grauen Augenbrauen. Offenbar schien bereits jeder zu glauben, daß dieser Erlöser entweder der wahre Retter war oder der angekündigte Antimashiah, der dem wahren Erretter vorausgehen sollte. Und anscheinend wollte niemand an Kapriolen der Natur glauben.
»Und welche Antwort hast du auf die Seuche, die siebzig Prozent unserer Bevölkerung dahingerafft hat?« fragte Rathanial scharf.
»Was für eine Seuche?«
»Die Bergtäler sind voll von unseren Toten! Wir haben keinen Platz, um die vielen Leichen zu beerdigen …«
»Warum hat der Rat von Horeb mir nicht geschrieben?«
»Zadok«, flüsterte Rathanial eindringlich, während seine Augen den Raum überprüften, als suchte er nach ›Lauschern‹, »das haben wir getan. Sehr oft sogar. Du hast nie geantwortet. Deshalb habe ich mein Leben riskiert und bin hergekommen, um selbst mit dir zu sprechen.«
»Ich habe nie ein Schreiben bekommen.«
»Das weiß ich jetzt. Aber zuerst dachte ich … Nun, du weißt, wie abgelegen Horeb ist, und wir haben kaum solche Probleme mit der Regierung wie andere gamantische Welten. Es gibt keine Einmischung, was unsere Schulen oder unsere Staatsführung angeht.«
Zadok senkte den Blick und beobachtete, wie das Licht den rotbraunen Wein in seinem Becher funkeln ließ. Irgend etwas an dieser ganzen Geschichte stank zum Himmel. Weshalb waren seine eigenen geheimen Quellen innerhalb Rathanials Gemeinde nicht in der Lage gewesen, diese Nachrichten weiterzuleiten? Lebten diese Informanten überhaupt noch? Und falls nicht, wieso nicht? Wer war der Verräter? »Berichte mir von der Seuche.«
»Scheußliche Wunden, die verstümmeln und töten. Es heißt … man sagt, unsichtbare Dämonen nagen am Fleisch unseres Volkes. Gott weiß, daß ich das nicht glaube. Aber das spielt im Grunde keine Rolle mehr, denn die Seuche ist fast vorüber, jetzt, wo jeder tot ist, der zum
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