Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
nickte kurz, hielt den Blick jedoch auf die zernarbte Oberfläche des Tischs gerichtet. »Wahnsinn ist nicht gleichbedeutend mit Schwachsinn, vor allem dann nicht, wenn einem ein böser Genius zur Seite steht, der die religiöse Bewegung in die entsprechenden Bahnen lenkt.«
»Tartarus hat so einen Genius?«
»Ja, ein Fremdweltler namens Ornias.« Rathanials Stimme senkte sich zu einem Flüstern, während er argwöhnisch die Schatten im Raum beäugte.
»Ein Fremdweltler? Woher?«
»Seit vier Jahren versuche ich das herauszufinden, Zadok, doch es gibt praktisch keine Aufzeichnungen über ihn. Ich bin jedoch ziemlich sicher, daß er auf Palaia Station geboren wurde …«
»Palaia?« Ein Adrenalinstoß durchfuhr Zadok. »Der Sitz der galaktischen Magistraten?« Die möglichen Implikationen ließen ihn schwindeln. Ein Spitzel? Ein Agent, der die gamantische Kultur und Religion unterminieren sollte?
»Ja, aber nicht einmal das kann ich positiv bestätigen. Er muß mehrmals seinen Namen geändert haben und wie ein Glühwürmchen durch die Galaxis gehuscht sein. Denn gäbe es nicht ein paar vereinzelte Daten über ihn, könnte man tatsächlich den Eindruck gewinnen, er wäre erst vor ein paar Jahren geboren worden, als er auf Horeb auftauchte.«
»Ich verstehe. Und was geschah, als er dorthin kam?«
»Er holte Adom sofort von der Straße, kaufte ihm Kleidung und kümmerte sich auch sonst um ihn. Für ein paar Monate hielt er ihn im Verborgenen. Dann startete er eine großangelegte Kampagne, in der er die Ankunft des ›verheißenen Mashiah‹ ankündigte. Als nächstes organisierte er eine Predigtreise über ganz Horeb, wobei er nicht einmal die kleinen Nomadendörfer in den Wüstengebieten ausließ.«
»Er hat ihn vermarktet, hm?«
»Ja.«
»Sieht so aus, als hätte es funktioniert.«
»Offensichtlich«, erwiderte Rathanial bitter. »Zur Zeit betreibt Ornias eine Kampagne, die alle Alten Gläubigen vernichten soll, indem er sie als Verräter oder Dämonen bezeichnet, die ausgeschickt wurden, um die Rechtgläubigen zu täuschen.«
»Was geschieht, wenn meine Prüfung Tartarus als Betrüger entlarvt und seine Anhänger mir nicht glauben? Fanatiker sind notorisch eigensinnig. Wie willst du mit ihnen umgehen?«
Rathanial hielt einen Moment den Atem an; dann platzte er heraus: »Ich habe versucht, es dir zu sagen.« Er rang die Hände.
»Was?«
»Ich habe Jeremiel Baruch gerufen. Er wird sich bei dir melden, ehe …«
»Warum?« Zadok beugte sich so schnell vor, daß er seinen Becher umstieß. Wein spritzte über den Tisch und lief in einem Rinnsal auf den Steinboden. Rasch zog er ein Taschentuch hervor, wischte die Flüssigkeit auf und ließ das vollgesogene Tuch dann an der Wand in der Nähe der Kerze liegen. »Baruch hat schon genug Sorgen, auch ohne deine Forderungen! Warum stellst du nicht eine eigene Truppe auf?«
»Adom und Ornias sind zu mächtig! Wir brauchen Hilfe!«
»Und wieso hast du das alles in die Wege geleitet, ohne mich zu fragen?«
Rathanials Lippen zitterten. »Ich dachte, ich hätte bereits deutlich gemacht, daß ich keinerlei Nachrichten an dich durchbekommen habe, Zadok. Baruch war der einzige, der auf meine Hilferufe geantwortet hat.«
»Ich dachte immer, du wärst gegen Gewalt?«
»Manchmal liegt in der Gewalt die einzige Rettung.«
Zadok preßte die Lippen zusammen und starrte lange zu Boden. Baruch wurde seiner subversiven Aktionen wegen von jedem galaktischen Beamten in diesem Sektor gesucht. Gerüchten zufolge hatten ihn die Magistraten im Akiba-System eingeschlossen. Falls er herkam, würde er nicht nur sein eigenes Leben aufs Spiel setzen, sondern zugleich auch seine ganze Armee. Wenn die Magistraten herausfanden, daß er seine Truppen verlassen hatte, würden sie mit Sicherheit angreifen, weil sie sich ausrechnen konnten, wie gefährlich schwach die Streitmacht ohne seine brillante Führung sein mußte.
»Deine Tochter«, kehrte Rathanial zögernd zum Thema zurück, »stammte von Ephraim ab?«
»Natürlich.«
Die Stille lastete schwer in der trockenen Höhlenluft. Rathanial betrachtete angelegentlich seinen Wein und wartete. Als Zadok nichts weiter sagte, fragte er düster: »Wie viele Frauen aus dem Hause Ephraim gibt es noch im gamantischen Volk?«
Zadok, der noch immer verärgert darüber war, daß Rathanial Baruch von seinen Truppen fortgezerrt hatte, antwortete scharf: »Meine Tochter Sarah und eine Cousine sechsten oder siebenten Grades. Vielleicht gibt es noch
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