Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
mehr, ich habe keine Ahnung.«
»Eine Cousine?«
»Ja, soviel ich weiß, lebt sie noch auf Horeb.«
»Wie heißt sie?«
Zadok zuckte die Achseln. »Das weiß ich wirklich nicht. Mein Vater mochte diesen Zweig der Familie nicht. Wir durften ihnen nicht einmal schreiben. ›Halunken und Wilde‹, so nannte er sie.«
Rathanial starrte ins Leere, während er alle Namen, die in Frage kommen mochten, vor seinem inneren Auge Revue passieren ließ. »Könnte es …«
»Versuch es gar nicht erst. Ich würde den Namen doch nicht erkennen, selbst wenn du ihn nennst.«
Nachdenklich blickten die beiden sich an. Rathanial war sichtlich bekümmert, bemühte sich aber, dies zu verbergen.
»Abba, ich weiß, daß ich dich verärgert habe, und das tut mir leid. Aber sicher verstehst du, daß ich keine andere Wahl hatte.«
»Du hättest herkommen sollen, bevor du dich an Baruch gewandt hast. Du hast uns alle in eine gefährliche Lage gebracht. Ohne den Untergrund sind wir mit Sicherheit verloren. Und die beste Möglichkeit, den Untergrund zu vernichten, besteht darin, seinen Anführer zu töten.«
Rathanial nickte betreten. »Ich habe einfach keinen anderen Weg gesehen.«
»Was geschehen ist, ist geschehen. Trotzdem«, Zadok beugte sich vor und richtete einen Finger auf Rathanial, »trotzdem solltest du ihn nach besten Kräften schützen. Wenn ich herausfinde, daß du ihm nicht genug Deckung gegeben hast …«
»Bestimmt nicht. Ich habe ihm schon die besten Sicherheitsmaßnahmen garantiert, die ich aufbieten kann.«
Zadok ließ sich auf seinem Stuhl zurücksinken, streckte die Beine von sich und überkreuzte sie an den Knöcheln. »Gibt es sonst noch etwas, das du brauchst?«
»Nur eines.«
»Und das wäre?«
»Mir ist klar, daß es nicht der richtige Zeitpunkt ist und du hier gebraucht wirst, aber du mußt sofort kommen, um Tartarus zu prüfen. Bevor es zu spät ist und wir feststellen, daß er der Antimashiah der Prophezeiung ist. Wir können nicht zulassen …«
»Das ist eine andere Geschichte. Wieso glaubst du, er würde sich meiner Prüfung unterwerfen?«
»Weil er sich das Vertrauen seiner Anhänger erhalten muß. Du bist der Führer des gamantischen Volkes, und wenn du ihn aufforderst, sich der Prüfung zu unterziehen, wird er gehorchen müssen.«
»Ja, ja«, murmelte Zadok erschöpft. »Druck könnte funktionieren.« Er schenkte sich ein weiteres Glas Wein ein, nahm einen Schluck und wischte sich die Lippen mit dem Aufschlag seines Ärmels ab. Das Getränk schmeckte stark harzig. »Laß mich erst einmal hier alles erledigen. Ich muß Yosef am Raumhafen abholen und mich um … die Beerdigung kümmern. Außerdem müssen wir auf Baruch warten. Anschließend kehre ich mit dir nach Horeb zurück.«
»Danke«, sagte Rathanial mit zaghafter Erleichterung und schloß für einen Moment die Augen. »Ich danke dir, Abba.« Er trank rasch seinen Wein aus, erhob sich und gab Zadok einen flüchtigen Kuß auf die Wange, bevor er zur Tür schritt. »Ich packe schon mal meine Sachen für die Reise.«
Zadok nickte müde und lauschte den schweren Schritten, die sich durch den Irrgarten aus gewundenen Korridoren entfernten.
Er hob seinen Becher, ließ die Flüssigkeit darin kreisen und betrachtete die feinen kastanienbraunen Wellen, die an der Zinnwand entlang liefen. Schmerz breitete sich in seiner Brust aus, als würden die Wogen des Schicksals an ihm zerren. Er kannte Rathanial nun schon seit hundert Jahren, doch noch nie hatte er ihn so verängstigt und hilflos gesehen. Möglicherweise standen die Dinge auf Horeb schlimmer, als er erzählt hatte, und vielleicht hatte er sich deswegen in seiner Verzweiflung an Baruch gewandt. Trotzdem war Zadok verärgert darüber. Er schnaubte wütend und schlug sich mit der Faust auf den Schenkel, während er sich bemühte, die beunruhigende Folge von Ereignissen zu analysieren: Auf Horeb war unter einem neuen Mashiah, der von sich behauptete, der verheißene Erlöser zu sein, ein Bürgerkrieg entbrannt; Rathanial war nicht in der Lage gewesen, ihm auch nur eine einzige Nachricht darüber zukommen zu lassen; Baruch riskierte seinen Hals bei dem Versuch, die Probleme des Planeten zu lösen, und … Ezarin war brutal ermordet worden. Standen diese Ereignisse miteinander in Verbindung?
Wieder tauchten Bilder des schrecklichen Schattens vor ihm auf. Zadok spürte ein Prickeln auf seiner Haut und setzte sich aufrecht hin. »Ein außerweltlicher Eindringling? Oder doch nur deine
Weitere Kostenlose Bücher