Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
akzeptieren, was geschehen war?
»Akzeptieren?« flüsterte er zu sich selbst. Würde er das je können, selbst wenn der furchtbare Schmerz nachließ?
»Nach deinem Gesicht zu urteilen«, sagte Rathanial mit leiser Stimme irgendwo hinter ihm, »würde ich sagen, daß du zutiefst besorgt bist. Machst du dir Gedanken wegen Horeb?«
Jeremiel holte tief Luft und meinte dann: »Nein, ich habe nur ganz allgemein nachgedacht.«
»Worüber?« Der alte Mann machte ein paar Schritte vorwärts und stellte sich neben Jeremiel in den Höhleneingang. Seine braune Robe sah frisch gewaschen aus und duftete nach Rauch, als wäre sie über einem Feuer getrocknet worden. Das weiße Haar und der Bart sahen in dem trüben Licht schiefergrau aus. »Entschuldige, aber du hast ausgesehen, als hättest du ein ernstes Gespräch mit dem Tod geführt.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Den gleichen Gesichtsausdruck habe ich bei Soldaten auf dem Schlachtfeld erlebt, wenn sie so erschöpft waren, daß sie jegliche Hoffnung verloren hatten.« Er blickte Jeremiel scharf an. »So geht es dir doch nicht, oder? Ich weiß ja, daß du in den letzten Monaten eine Reihe schwerer Schlachten ausgetragen hast.«
»Es geht mir gut.« Er erwiderte den Blick des alten Mannes mit ausdrucksloser Miene. Rathanials schmale Schultern versteiften sich, als hätte er gerade mehr gesehen als er sollte. Jeremiel verfluchte sich innerlich. War seine Verletzlichkeit so offensichtlich?
»Jeremiel, vor uns liegt ein sehr schwerer Weg. Wenn du dich dem zur Zeit nicht gewachsen fühlst, sollten wir vielleicht warten.«
»Ich bin mehr als fähig dazu, alles zu tun, was nötig ist, um unsere Leute auf Horeb zu retten.«
Rathanial verschränkte die Arme und nickte, wenn auch ein wenig ungläubig. »Ich weiß, du warst in der Vergangenheit stets zuverlässig, Jeremiel. Doch jeder von uns durchläuft Zeiten der Unsicherheit. Ich könnte verstehen, wenn du warten möchtest.«
»Dräng mich nicht, Rathanial. Ich habe gesagt, es geht mir gut.« Er hörte den schrillen Ton, der sich in seine Stimme geschlichen hatte, doch es war ihm gleichgültig. Warum war der alte Mann so hartnäckig? Verdammt! Wußte er von Syene? Das Infragestellen seiner Fähigkeiten machte ihn nur noch entschlossener, sich nach Horeb zu begeben. Wußte Rathanial das?
»In Ordnung. Nun, dann sollten wir jetzt unsere Pläne besprechen.«
»Wir nehmen getrennte Schiffe«, erklärte Jeremiel, der froh war, daß ihr Gespräch sich jetzt auf einem so sicheren Feld wie dem der Strategie bewegte.
Rathanial schüttelte den Kopf. »Was? Warum? Ich hatte vorausgesetzt, wir reisen zusammen.«
»Getrennte Schiffe erhöhen unsere Chancen, daß zumindest einer von uns durchkommt. Hast du schon etwas arrangiert?«
»Ja, ein kleines Shuttle holt mich morgen ab. Es ist alles vorbereitet. Ich … ich dachte, du kommst mit mir?«
»Nein.«
»Hast du schon eine Transportmöglichkeit?«
»Noch nicht.«
»Jeremiel«, sagte Rathanial zögernd, »ich möchte nicht, daß du unnötige Risiken eingehst. Besonders dann nicht, wenn du …« Jeremiels harter Blick brachte ihn zu Schweigen. »Vielleicht sollte ich Kontakt zu meinen Leuten aufnehmen und dafür sorgen, daß sie ein weiteres Schiff schicken. Das wird nur ein paar Tage dauern.«
»Es würde aber Verdacht erregen. Mach dir um mich keine Sorgen. Aller Wahrscheinlichkeit nach werde ich schon vor dir auf Horeb eintreffen.« Ein ironisches Lächeln erschien auf seinem Gesicht.
Rathanials runzlige Lippen preßten sich zusammen. Er richtete seinen Blick auf den opalisierenden Nebel, der sich um die Bäume wand. Die Wolken am nördlichen Horizont hatten durch den Widerschein der aufgehenden Sonne fahlgoldene Ränder. »Also gut. Wenn du es sagst. Dann treffe ich dich ja dort.«
»Erzählst mir, wie ich deine geheimen Höhlen finde?«
Als Rathanial ihm seine Instruktionen gab, spürte Jeremiel einen scharfen Schmerz in der Brust. Wieder würde eine Schlacht zum Besten des Volkes geführt und noch mehr Leben verschwendet werden in einem immer nutzloser erscheinenden Krieg, der das gamantische Erbe bewahren sollte.
»… und du mußt daran denken, der Schieber befindet sich unter dem überhängenden Kamm aus braunem Sandstein.«
»Ich werde es mir merken.«
»Es kann sein, daß du dich auf den Rücken legen und danach tasten mußt, um es zu finden. Wenn man es noch nie gesehen hat, kann man es kaum entdecken …«
War eine Kultur es wert, daß soviel Blut vergossen wurde?
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