Die Gamant-Chroniken 02 - Die Rebellen von Tikkun
nicht jeder betrachtet die Dinge so wie ich. Aber natürlich kennt auch nicht jeder alle Fakten. Wir waren gezwungen, Anhänger beider Bürgerkriegsparteien aufzunehmen, und die daraus resultierenden Spannungen sind enorm. Erst heute morgen gab es zwei weitere Morde.«
»Weitere Morde?«
»Ja. Im Lazarett. Irgendwer hat einen Fehler gemacht, und so wurde einer der Alten Gläubigen neben einem Anhänger Tartarus’ untergebracht.«
Rachel schloß die Augen und versuchte gegen die schrecklichen Bilder anzukämpfen, die auf sie einstürmten. Erinnerungen an den Platz zuckten auf … Nachtvögel, die an Leichen zerrten … das Jammern von Kindern, die unter einem Berg von Toten begraben waren. »Jeremiel, ich würde fast alles tun, um Ihnen zu helfen, aber wenn Sie hergekommen sind, um mich zu bitten, als Vermittlerin …«
»Nein, keineswegs. Obwohl ich zugeben muß, daß ich mir überlegt habe, ob Sie nicht die Organisation der Alten Gläubigen übernehmen können, so wie Sie es auf Horeb getan haben. Aber ich fürchte, es gibt zu viele, die die Übertragung von Adoms Tod gesehen haben. Ich fürchte, wenn Sie unter den Flüchtlingen auftauchen, wird das nur zur Polarisierung beitragen – die eine Seite wird Sie hassen, während die andere Sie als Retter betrachtet. Ganz davon abgesehen gibt es ein wichtigeres Problem, bei dem ich Ihre Hilfe brauche.«
»Jetzt bin ich wirklich erleichtert«, meinte Rachel mit einem Aufseufzen. »Aber wo wollen Sie mich einsetzen, wenn ich mich gleichzeitig von den Horebianern fernhalten soll?«
Jeremiel betrachtete nachdenklich die Lichtreflexe auf seinem Glas. »Ich brauche noch jemanden für das Sicherheitsteam auf Deck vier, dem ich vertrauen kann.«
»Was befindet sich auf Deck vier?«
»Zwei wütende magistratische Soldaten, die es gar nicht erwarten können, dem ersten Gamanten, der ihnen in die Quere kommt, an die Kehle zu fahren. Ich habe Captain Cole Tahn und seine Stellvertreterin, First Lieutenant Carey Halloway, auf Deck vier festgesetzt. Der Rest der Mannschaft befindet sich auf Deck sieben.«
»Diese Vorstellung macht mich nervös.«
»Sie würden keine Sekunde allein sein, solange die oberen Decks noch nicht gesichert sind. Ich habe zehn …«
»Ich verstehe nichts von Sicherheitsmaßnahmen, und schon gar nichts von den technischen Systemen, wie sie dieses magische Schiff besitzt.«
»Aber Sie kennen den Preis schlechter Sicherheitsmaßnahmen, Rachel. Sie haben selbst miterlebt, was geschieht, wenn jemand nachlässig oder zu selbstsicher wird. Harper kann Ihnen die Grundlagen der Sicherheitsmaßnahmen in einem Tag beibringen, und den Rest entnehmen Sie dann den technischen Anleitungen in der Schiffsbibliothek. Die anderen Mitglieder des Teams sind bereits entsprechend ausgebildet worden – und zwar vom besten Mann, wie ich vielleicht hinzufügen sollte.«
»Das bedeutet, von Ihnen selbst, nehme ich an.«
Jeremiel lächelte und strich sich den rotblonden Bart. »Es gibt noch einen besseren.«
»Niemand ist besser.«
»Die Veteranen der letzten gamantischen Revolte könnten da anderer Ansicht sein. Sie halten Zadok Calas für den weitaus besseren …«
»Zadok?«
»Genau. Jeder Sicherheitsoffizier auf Deck vier gehörte früher zu Harpers Geheimorganisation auf Horeb, und alle Männer hat Zadok persönlich ausgesucht. Sie sind absolut loyal, und die meisten gehören zudem den Alten Gläubigen an und haben seit Jahren mitverfolgt, wie Sie den Widerstand gegen Ornias organisiert haben. Und sie wissen, daß Sie eine Heldin sind. Sie in ihren Reihen zu wissen, wird sie zweifellos ganz besonders anspornen.«
»Also schön. Wenn ich nicht bald etwas zu tun kriege, drehe ich noch durch. Wann fange ich an?«
»Sofort.« Jeremiel erhob sich in einer fließenden Bewegung und lächelte entschuldigend auf sie herab. »Tut mir leid, aber ich muß jetzt gehen.«
Rachel stand ebenfalls auf. »Geben Sie mir noch zwei Minuten. Ich muß etwas Privates mit Ihnen besprechen.«
Baruch nickte zustimmend. »In Ordnung. Legen Sie los. Ich müßte zwar in fünf Minuten bei einer Strategiesitzung im Maschinenraum sein, aber ich glaube, ich kann ruhig etwas zu spät kommen.«
»Ich werde mich kurz fassen. Mir ist ja klar, wie hektisch es hier zugeht.« Rachel lächelte ihn kurz an und ging zur anderen Seite des Zimmers hinüber. Sie überlegte fieberhaft, wie sie beginnen sollte. Zwar hatte sie stundenlang darüber nachgedacht, wie sie ihm die Geschichte beibringen könnte,
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