Die Gamant-Chroniken 02 - Die Rebellen von Tikkun
grauhaarigen Wüstenvater, der ihr die Schrift eingebrannt hatte, einmal abgesehen. Und sie würden auch unsichtbar bleiben, solange Rachel sich das Haar nicht in voller Absicht zurückstrich.
Unruhig wanderte sie in ihrer Kabine auf und ab, während sie auf Jeremiel wartete. Baruch wollte mit ihr zu Abend essen, hatte sich jedoch bereits um vierzig Minuten verspätet. Die Stewards hatten die Mahlzeit schon vor einer Stunde gebracht. Jetzt stand das Essen zugedeckt auf dem Tisch, und der Duft von mit Curry gewürztem Lamm und halosianischem wildem Reis stieg ihr verlockend in die Nase. Beides war speziell für sie zubereitet worden, da die normalen Nahrungsspender längst durch die Unmenge von Flüchtlingen überlastet waren.
Rachel überlegte angestrengt, wie sie Jeremiel die Dinge beibringen sollte, die sie ihm mitzuteilen hatte. Ob er annehmen würde, sie wäre verrückt geworden? Wahrscheinlich. Und wieso auch nicht? Schließlich war sie von ihrer geistigen Gesundheit selbst nicht so recht überzeugt.
Gott sei dank war Ari vor einer halben Stunde vorbeigekommen und hatte Sybil mitgenommen, um ihr auf dem Holo-Deck beizubringen, wie man schnell zieht. Ari schien gut mit ihrer Tochter auszukommen, und Sybil konnte Freunde brauchen, ganz besonders jetzt, wo die Welt um sie herum zu zerbrechen schien und Rachel selbst ihr keine besonders große Hilfe war.
Die Türsprechanlage summte und Jeremiels tiefe Stimme erfüllte den Raum. »Rachel? Hier ist Jeremiel. Tut mir leid, daß ich zu spät komme.«
Rachel eilte zur Tür und drückte auf den Öffner. Als die Tür beiseite glitt, stand Jeremiel groß und breitschultrig in einem grauen Hemd und weißen Hosen vor ihr. Er wirkte so müde, als könnte er jeden Moment vor ihren Füßen zusammenbrechen und einschlafen. Hinter ihm hatten vier Wachen Stellung bezogen.
Rachel lächelte. »Schön, Sie zu sehen, Jeremiel. Kommen Sie herein.«
Baruch gab den Wächtern Anweisung, vor der Tür zu warten, und betrat dann die Kabine. Er lächelte ihr zu und meinte: »Sie sind nach wie vor schön. Wie geht es Ihnen?«
Er breitete die Arme aus, und sie stürzte zu ihm und vergrub ihre Finger in den weichen Falten seines Hemds. Der gleichmäßige Rhythmus seines Herzschlags vertrieb ihre Ängste.
Jeremiel strich ihr mit seiner starken Hand über das Haar und murmelte: »Alles in Ordnung?«
»Ja, jetzt schon. Und wie geht es Ihnen?«
»So gut, wie man es unter diesen Umständen erwarten kann. Kommen Sie, setzen wir uns und essen wir, bevor alles eiskalt geworden ist. Ich fürchte, ich habe ohnehin nicht sehr viel Zeit.«
»Avel hat mich schon darauf vorbereitet. Er meinte, Sie hätten den ganzen Tag damit verbracht, die Männer ausfindig zu machen und zu verhören, die mich angegriffen haben.«
»Sie und noch einige andere. Die Mordrate ist in den letzten beiden Tagen erheblich gestiegen. Der Anführer der Attentäter war Rumon Kaufa. Ich habe Anweisung gegeben, ihn und seine Anhänger aus dem Schiff zu werfen.« Als hätten sie sich nur über das Wetter unterhalten, deutete Jeremiel auf das Essen und fragte: »Sollen wir?«
Sie gingen zum Tisch hinüber und nahmen Platz. Jeremiel öffnete die Behälter und stapelte die Deckel am Rand der Tischplatte ineinander auf. Als er das Servierbesteck hob, war deutlich zu merken, daß er in Eile war.
»Darf ich Ihnen auflegen?«
»Ja, ich bin schon halb verhungert. Ich fürchte, wenn Sie jetzt nicht gekommen wären, hätte ich schon ohne Sie angefangen.«
»Könnte ich Ihnen nicht vorwerfen. Davon abgesehen werden Sie Ihre Kräfte noch brauchen.«
»So? Was haben Sie denn vor?«
Jeremiel füllte beide Teller und schenkte dann den alizariner Wein in die Kristallgläser. Schließlich hob er seine Gabel und meinte mit einem schiefen Grinsen: »Bringen wir erst das Essen hinter uns? Dann hört nämlich mein Magen auf zu knurren, und ich kann mich besser konzentrieren.«
»Soll mir recht sein.« Rachel griff ebenfalls nach ihrer Gabel. Das Lammcurry war nur noch lauwarm und ein wenig klebrig, aber gut gewürzt und einigermaßen schmackhaft.
Jeremiel griff herzhaft zu und lächelte sie an, wann immer sie den Kopf hob. Wie stets umgab ihn eine Aura innerer Stärke, die alle in seiner Nähe beeinflußte. Rachel hatte das noch nie so sehr wie gerade jetzt empfunden, wo sie verzweifelt jemanden brauchte, mit dem sie reden konnte.
Als sie fertig war, legte sie die Gabel zur Seite, ergriff ihr Weinglas und beobachtete, wie Jeremiel die
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