Die Gamnma Option
Dachsparren herabkletterte, genau dort, wo sich auf wundersame Art und Weise das verrostete Rohr gelöst hatte und auf den letzten Wächter geprallt war. Und dann bückte sich die Gestalt über sie. Noch immer konnte sie sie nur verschwommen ausmachen.
Ein Junge! Es war ein Junge!
»Keine Angst«, sagte er, während er versuchte, sie hochzuziehen. »Bevor noch mehr kommen, bringe ich Sie hier heraus.«
10
»Sind Sie sicher, daß das die Adresse ist?«
Die Frage des Fahrers ließ McCracken jäh hochfahren. Er begriff, daß er das letzte Stück der Fahrt vom Flughafen gedöst haben mußte, und warf einen Blick auf den Computertaxameter, der die Gebühren in hellen Leuchtziffern sowohl in Yen wie auch in Dollar angab.
»Haben Sie schon Feierabend?« fragte Blaine auf Englisch.
»Ist das der Ort?« erwiderte der Fahrer; er wollte schnell wieder weg.
Blaine sah aus dem offenen Fenster in die späte Dämmerung hinaus. Er war sich selbst nicht sicher. Das Anwesen lag fünfzig Kilometer vor Tokio mitten auf dem Land. Das letzte Stück des Weges waren sie über eine unbefestigte Straße gefahren, an deren Ende eine Brücke stand, die über einen schmalen, aber wilden Bach führte. Sie befanden sich in einem üppigen Wald voller blühender Blumen und Bäume. Die einzigen Anzeichen für die Gegenwart von Menschen stellten die perfekte Landschaftsgestaltung und ein dunkel geflecktes Holzgebäude hinter der Brücke dar. Es war auf einem Hügelhang errichtet worden, nur über eine steile Steintreppe zugänglich und auf allen Seiten von dichten, vollen Bäumen umgeben, die schwach im Wind schwankten. Blaine sah zu dem Bach hinüber und fragte sich, ob Traymir ihn in die Irre geführt hatte, ob …
Plötzlich fiel ihm etwas auf, und genauso plötzlich fuhr seine Hand nach dem Türöffner.
»Danke, das ist in Ordnung«, sagte er zu dem Fahrer und suchte aus seinem Geldscheinbündel den Betrag heraus, den der Taxameter anzeigte.
Er stieg aus, und der Fahrer setzte schnell über die unbefestigte Straße zurück. Bujin bedeutete Krieger, und der Mann, der diesen Namen angenommen hatte, wollte ihm anscheinend auch gerecht werden. Das Gebäude vor ihm war ein Dojo, eine Turnhalle, in der asiatischer Kampfsport betrieben wurde. Blaine kannte solche Gebäude und fühlte sich augenblicklich zu Hause.
Nach seinem Einsatz in Israel – Vietnam lastete noch immer schwer auf seiner Erinnerung – war er nach Japan weitergezogen. Der Vietcong hatte ihm viel über das beigebracht, was Johnny Wareagle auch heute noch als das Höllenfeuer bezeichnete. Nicht zuletzt hatte er ihn gelehrt, wie unzureichend die amerikanischen Soldaten auf die orientalische Tapferkeit und Philosophie vorbereitet gewesen waren. McCracken war der Meinung, daß dieser Mangel an Verständnis die Vereinigten Staaten den Sieg und viele Soldaten das Leben gekostet hatte. Der wahre Krieger lernt von seinen Feinden, und Blaine war nach Japan gegangen, um sich in einer Reihe von Kampfsportarten ausbilden zu lassen. Schließlich hatte er sich einer Dai-Ito-Ryu-Ju-Jitsu-Schule angeschlossen, die neben den traditionellen Selbstverteidigungsarten auch den Kampf mit dem Holzschwert lehrte. Sein Sensei hieß Yamagita Hiroshi; er entstammte einer langen Ahnenfolge echter Samurai und war einer der besten Ausbilder der japanischen Polizei und Armee. Blaine trainierte Tag und Nacht und arbeitete an seinem Verstand so hart wie an seinem Körper, bis er allmählich begriff, was den Feind in Vietnam letztendlich unüberwindbar gemacht hatte. Sein Ziel war es, sich diese Fähigkeiten anzueignen, doch schließlich gelangte er nur zu der Erkenntnis, wieviel er niemals wissen würde. Er war danach jahrelang mit Hiroshi in Verbindung geblieben, bis der Meister schließlich bei der japanischen Regierung in Ungnade fiel und verschwand.
Blaine näherte sich langsam der Holzbrücke und achtete dabei sorgsam darauf, daß seine Hände immer sichtbar blieben. Er warf einen letzten Blick auf das Taxi, bevor es schließlich außer Sicht verschwand, und als er sich wieder umdrehte, stand eine dunkle Gestalt auf der Mitte der Brücke. Sie war gemäß der Tradition der Samurai-Krieger mit einer schwarzen Robe und einem Hakama bekleidet. An der linken Hüfte des Mannes war der Griff eines Katana auszumachen, eines rasiermesserscharfen Langschwerts; die schwarze Scheide war durch den Gürtel geschoben, der die Robe zusammenhielt. Die rechte Hand des Mannes ruhte auf dem ebenfalls schwarzen
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