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Die Gamnma Option

Titel: Die Gamnma Option Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Land
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schien.
    »Wo … bin ich?« brachte Evira zustande.
    »In Sicherheit.«
    Sie fühlte, wie die letzten Wassertropfen an ihren Mundwinkeln hinabliefen. Sie war zu schwach, um sie abzuwischen. »Wer bist du?«
    »Kourosh«, erwiderte der Junge.
    Langsam entfalteten sich die Erinnerungen in ihrem Gedächtnis und nahmen die richtige Reihenfolge ein. Sie entsann sich, wie sie geglaubt hatte, verloren zu sein, als der letzte Revolutionswächter in der Plastikfabrik über ihr stand. Sie entsann sich, wie ein Rohr auf ihn gestürzt und ihr Retter von den Deckenbalken herabgesprungen war. Sie entsann sich an das Gesicht ihres Retters – das Gesicht des jungen Kourosh. Von da an wurde alles verschwommen. Ein Mann, der nach Alkohol roch, hatte ihr Fragen gestellt, die sie vor Schwäche nicht beantworten konnte. Sie hatte neuen Schmerz in ihren Verletzungen empfunden und konnte nun – sie ruhte auf einer uralten Matratze, die auf zusammengeschobenen Kisten lag – fachmännisch angebrachte Verbände spüren, die ihr zerrissenes Gewebe zusammenhielten. Darüber hinaus entsann sie sich nur des Jungen, der ständig in ihrer Nähe war und ihr Wasser gab.
    Kourosh war ein Stück zurückgetreten und setzte sich nun auf eine Kiste, deren Mitte sich unter seinem geringen Gewicht bog. Sein Körper war überraschend stämmig, berücksichtigte man, daß er offensichtlich an Unterernährung litt. Evira stellte fest, daß der größte Teil der Farbe auf seinem Gesicht von dem überkrusteten Dreck herrührte. Er schien sich in seiner Rolle als Krankenpfleger sichtlich wohl zu fühlen.
    »Meine Verletzungen … wie schlimm sind sie?«
    »Der Arzt hat gesagt, wenn Sie innerhalb von zwei Tagen wieder zu sich kommen, würden Sie überleben. Es ist gerade mal ein Tag vergangen.«
    »Ich erinnere mich jetzt. Der Arzt war noch jung, sehr jung.«
    Kourosh lächelte breit. »Oh, er ist eigentlich kein Arzt. Wir nennen ihn nur so, weil er Medizin studierte, bevor er untertauchen mußte.«
    »Wir?«
    »Unsere Leute«, erwiderte Kourosh.
    »Du gehörst zum Untergrund«, sagte Evira.
    »Und ich bin stolz darauf.«
    Sie versuchte sich zu rühren; ihr war ein neuer Gedanke gekommen. »Wer weiß sonst noch, daß ich hier bin?«
    »Niemand. Nur der Arzt, und der wird nichts sagen.« Kourosh deutete mit dem Daumen auf sich. »Er ist mir etwas schuldig.«
    Endlich brachte Evira die Kraft auf, sich umzusehen. Sie befand sich in einem kleinen Raum mit nur einem – teilweise vernagelten – Fenster nicht weit entfernt von ihrer Behelfsliege. Der Raum war lediglich mit diversen Kisten und einem mitgenommenen Stuhl möbliert. Zahlreiche amerikanische Comic-Hefte lagen auf dem Boden, und an die Wände geklebte Doppelseiten dienten als Tapete.
    »Wer hat mich hierher gebracht? Du ganz allein?«
    »Wir sind nicht weit von der Fabrik entfernt. Nur ein paar Blocks.«
    »Du wohnst hier.«
    »Ich wohne hier«, sagte der Junge und senkte den Blick. Dann hob er den Kopf wieder, und sein Gesicht hellte sich auf. »Das ist mein Zuhause, und es ist ein schöneres Heim, als viele andere es haben.«
    »Du warst in der Fabrik, als die Soldaten kamen.«
    Kourosh nickte.
    »Du hast gesehen, was dort passierte, bevor ich kam?«
    Ein weiteres Nicken, dann ein Seufzen. »Sie haben mich auf einen Botengang geschickt. Ich komme und gehe immer durch den Keller, weil man mich dort nicht so schnell entdecken kann. Ich war gerade zurückgekommen, als ich die Schüsse hörte. Ich wußte, daß es nicht unsere Waffen waren. Ich erkenne sie am Geräusch.«
    »Aber du bist nicht davongelaufen. Du bist geblieben.«
    »Weil ich wußte, daß Sie kommen würden. Ich wollte Sie warnen, mußte mich aber verstecken, als noch mehr Soldaten kamen. Ich versteckte mich oben auf den Dachbalken.«
    »Zu meinem Glück …«
    Kourosh lächelte sie an, und in diesem Augenblick sah Evira in ihm den Jungen, der er hätte sein sollen, aber in dieser Welt nicht sein durfte. Er war das Geschöpf einer Gesellschaft, die keine Jugend mehr kannte oder verstand und sich daher weigerte, sie zu dulden.
    »Sie müssen sich ausruhen«, sagte er zu ihr.
    »Ich habe genug geruht.«
    »Sie müssen wieder zu Kräften kommen.«
    »Kannst du die anderen zu mir bringen?«
    Kourosh hob seine kleinen, müden Schultern. »Es gibt keine anderen.«
    »Aber der Untergrund …«
    »Die, die ich kenne, wurden verhaftet, sind verschwunden oder wurden in der Fabrik getötet.«
    »Und der Arzt?«
    »Ich habe heute morgen nach ihm

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