Die Gamnma Option
zog sie aber wieder zurück, bevor er diese Sünde begehen konnte. »Wir haben uns vergewissert, daß die Nachricht von ihrer Ankunft an den Revolutionsrat durchsickert, doch die Soldaten, die sie in Empfang nehmen sollten, wurden alle getötet, und sie verschwand. Ende der Geschichte.«
Abraham lachte humorlos auf und machte endlich seinen Zug. »Nicht, wenn sie noch am Leben ist.«
»Nur zu«, stichelte Isaac. »Du willst jetzt das sagen, was du schon heute morgen gesagt hast. ›Warum suchen wir sie nicht und erledigen sie?‹ Weil sie verschwunden ist, deshalb. Jemand hat ihr geholfen, und dieser Jemand hilft ihr noch immer.«
»Keiner unserer Leute.«
»Bestimmt nicht. Vielleicht gehört er keiner Gruppierung an. So was soll ja mal vorkommen.«
»Es kommt nur darauf an«, sagte Saul, »daß sie wahrscheinlich auf der Flucht ist und daher keine Bedrohung unserer Pläne mehr darstellt.«
»Unterschätze sie nicht«, drängte Isaac und beobachtete Abraham, der sich eine Erwiderung seines letzten Zuges einfallen lassen mußte. »Wir wissen, was sie in Teheran bewerkstelligen will, und wir wissen ebenfalls, daß wir ihr das nicht erlauben dürfen.«
»Sie hat nur wenig Zeit.«
»Sie hat genug Zeit.«
»Wann ist es soweit?« fragte Isaac sich selbst und steckte sein Taschentuch ein, um es an seinen Fingern abzuzählen. »Kommt darauf an, ob man den heutigen Tag mitrechnet oder nicht.«
»Putz«, murmelte Saul. »Du kannst dich nicht an den vierzehnten Mai erinnern, den Unabhängigkeitstag? Und das, nachdem wir so schwer kämpfen mußten, um ihn zu bekommen?«
»Acht Tage«, sagte Joshua schließlich. »Den heutigen eingerechnet.«
»Putz.«
Und auf dem Spielbrett hatte Abraham auf Isaacs anscheinend schlecht durchdachten Zug reagiert, indem er zwei gegnerische Steine übersprungen hatte; einer davon war eine Dame gewesen. »Manchmal, alter Freund, machst du ein einfaches Spiel viel komplizierter, als es eigentlich sein sollte.«
Isaac reagierte augenblicklich, übersprang drei von Abrahams Steinen und ließ ihm nur noch einen einzigen Stein auf dem Brett. »Manchmal machst du es zu einfach.«
Yosef Rasin stand auf der Terrasse, von der aus man die Orangenhaine des Kibbuz überblicken konnte, in dem er als Kind gelebt hatte. Für ihn waren die Gerüche, die die steife Brise herantrug, mehr als nur die von Zitrusfrüchten; es waren die Gerüche von Israel, der Nation, der er sein Leben gewidmet hatte. Rasin fuhr mit einer Hand durch seine Locken, die merklich dünner als früher geworden waren. Er war kein junger Mann mehr. Wo früher Träume ganze Ewigkeiten warten konnten, bis sie wahr wurden, schien jetzt sogar der morgige Tag zu weit entfernt, um darauf zu warten.
Morgen sowieso nicht. Aber bald, sehr bald …
Rasin legte beide Hände fest um das Geländer. Sein Griff fühlte sich schwach an. Sein Bauch schien noch dicker geworden zu sein. Die Sonne über Israel schien Tag für Tag etwas von ihrer Kraft zu verlieren. In dieser Hinsicht war sein Schicksal das seiner Nation. Bitten. Verzweiflung. Kaum noch Zeit. Interessant, wie sie beide gemeinsam gealtert waren.
Und doch stand er hier als Gefangener seines Gewissens, dank des Plans, den er in Angriff genommen hatte. Als seine Feinde nach ihm zu suchen begannen, hatte er sich in dieses Kibbuz auf dem fruchtbaren Land in der Nähe des Negev zurückgezogen. Es stand viel auf dem Spiel, und Rasin konnte kein Risiko eingehen. Die Bewohner seines Kibbuz hielten ihn für einen Helden. Es war ein Privileg, ihn zu verstecken. Sie würden nichts über ihn verlauten lassen, und da das Kibbuz sehr abgelegen war, stellte er das perfekte Versteck dar. Es war nicht, wie so viele andere, kommerziell geworden. Hier gab es kein Hotel, keine Andenkengeschäfte, nicht den geringsten Tourismus. Die Menschen hier blieben unter sich und machten für ihre Existenz keine Reklame mit Werbeplakaten an der Autobahn. Rasin bekam eine Gänsehaut, als er dachte, wie viele andere sich der Kommerzialität ergeben hatten.
Er atmete noch einmal tief ein. Die Gerüche erinnerten ihn an vieles, hauptsächlich aber an die Heimat. Er sah über die Orangenbäume hinaus, die sich in regelmäßigen Reihen unter ihm erstreckten. In seiner Vorstellung wurden sie zu einer gewaltigen Menschenmenge, die ihm jubelnd zurief. Rasin konnte ihre Euphorie fühlen. Er berührte sein unrasiertes Gesicht und war froh, daß die Menschen unter ihm zu weit entfernt waren, um zu bemerken, wie ungepflegt
Weitere Kostenlose Bücher