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Die Gamnma Option

Titel: Die Gamnma Option Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Land
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gesucht. Er ist auch verschwunden.«
    Verdammt, dachte Evira, ich bin ganz allein …
    »Ich weiß, weshalb Sie gekommen sind«, sagte Kourosh plötzlich. »Sie sind gekommen, um Hassani zu töten, und der Untergrund wollte Ihnen helfen.«
    Evira zwang sich, sich trotz der Schmerzen ein Stück aufzurichten.
    »Sie brauchen sie nicht«, fuhr der Junge fort. »Ich kann Ihnen helfen. Ich kenne die Stadt und weiß, wo Sie ihn finden können.«
    »Wo?«
    »Er ist in den Königlichen Palast gezogen, den der Schah in Niavarin bauen ließ. Ich kann Sie dorthin bringen. Ich kenne den Weg. Wenn Sie soweit sind.«
    Trotz ihrer Bemühungen, sich aufrecht zu halten, sanken ihre Schultern auf die schmutzige Matratze zurück. »Das kann noch eine ganze Weile dauern.«
    »Sie sind stark. Ich habe gesehen, was Sie im Keller der Fabrik getan haben. Noch ein paar Tage, mehr nicht.«
    »Wenn du dich weiterhin um mich kümmerst, bezweifle ich das nicht.«
    »Ich weiß, wie ich Ihre Verbände wechseln muß. Der Arzt hat es mir gezeigt. Ich habe sie schon einmal gewechselt, als Sie schliefen.«
    »Tja«, sagte Evira. »Wenn wir also Partner sind, muß ich etwas mehr über dich wissen als nur deinen Namen.«
    Evira vergaß ihre Schmerzen, als sie sich seine Geschichte anhörte. Kourosh war ein Waisenkind, wie sie es vermutet hatte. Er war vor fast zwölf Jahren geboren worden. Von Anfang an war sein Leben nicht besonders gut verlaufen, und es war schnell schlechter geworden. Der Krieg mit dem Irak nahm ihm den Vater; er wurde einberufen und kehrte in einem Sarg wieder zurück. Da seine Mutter über kein Einkommen verfügte, gab sie den sieben Jahre alten Kourosh in eine vom Revolutionsrat geleitete Schule, und zwei Jahre später wurde auch er von der Armee eingezogen.
    Nachdem immer mehr Soldaten im Krieg gegen den Irak gefallen waren, hatte man die Entscheidung getroffen, Kinder an der Front einzusetzen. Anfangs bekamen sie eine gewisse Ausbildung und wurden auch bewaffnet. Doch nachdem die Bewaffnung immer knapper wurde, wurden sie einfach mit Knüppeln oder Stöcken in irakische Festungen geschickt oder benutzt, um Minenfelder zu ›säubern‹. Jedes Leben, das ein Junge ließ, bedeutete, daß das eines Mannes geschont wurde, der damit den Kampf für das ›wahre islamische Schicksal‹ fortsetzen konnte. Der Revolutionsrat mußte diese Maßnahme nicht erklären, da sie von niemandem in Frage gestellt wurde.
    Kourosh sollte an einer dieser Angriffswellen teilnehmen. Man schnitt ihm das Haar kurz und kleidete ihn wie einen Soldaten. Dann wurden er und die anderen Kinder auf Lastwagen verfrachtet und an einem regnerischen Tag in Richtung Westen transportiert. Mehrere Wagen des Konvois kamen von den schlammigen Straßen ab, und die Kinder mußten absteigen und sich unter Bäume setzen, während die noch manövrierfähigen Wagen die anderen auf die Straße zurückziehen sollten. Die Kinder wurden natürlich von Soldaten bewacht, aber die konnten nicht auf jeden achten. Als die Kinder zu einem der Wagen getrieben wurden, um zu helfen, ihn aus einem Graben zu ziehen, entkam Kourosh mit mehreren anderen Jungen in die Wälder.
    Eine Zeitlang war es ein tolles Abenteuer. Die anderen Jungen waren älter als er, und sie nahmen ihn nach Teheran mit. Wollten sie dort überleben, hatten sie nur eine Wahl: sie mußten Frauen überfallen und ihnen ihr Geld und ihre Lebensmittel rauben. Das konnte Kourosh nicht akzeptieren. Jede Frau, die sie überfielen, erinnerte ihn an seine Mutter, so schwach er sich auch an sie erinnerte, und er sonderte sich von den anderen ab und trennte sich schließlich ganz von ihnen. Es war Jahre her, seit er zum letzten Mal zu Hause gewesen war, doch er erinnerte sich an die Adresse und kehrte dorthin zurück.
    Seine Mutter war nicht mehr dort. Niemand wußte, wo sie war.
    Kourosh mußte wieder auf der Straße leben, und die Straßen wurden seine einzigen Eltern. Er stahl, was er zum Überleben brauchte. Er fand das leere Zimmer, in das er später Evira brachte, und zog dort ein. Durch die Ritzen zwischen den Brettern über seinem Fenster konnte er die Plastikfabrik sehen und so beobachten, wer dort kam und ging. In vielen Nächten hörte er leise Schritte, die sich dem Gebäude näherten, und mit der Zeit erkannte er die, die regelmäßig dorthin gingen. Er vermutete, daß es sich um Konterrevolutionäre handelte, die sich aus unzufriedenen Studenten zusammensetzten, den Helden der Armen, und wünschte, alt genug zu sein,

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