Die Gang: Roman (German Edition)
wimmelte es hier wahrscheinlich nur so vor Pennern, dachte sie. Bis dahin sind wir weg. Sobald die Sonne untergegangen ist, hauen wir hier ab.
Aber bevor die Sonne unterging, kam der Nebel. Die Dunkelheit kroch näher an Jingles heran. Sie konnte nicht länger die Kritzeleien auf der Mauer sehen – was sie nicht störte, weil sie sie ohnehin eher nervös machten. Aber die Hitze des Nachmittags ließ durch den Nebel bald nach.
Fröstelnd bewegte sich Jingles von dem Pfahl weg. Auf allen vieren hockend, blickte sie in Richtung Strand. Vor der Promenade sah die Luft grau und dunstig aus. Ein paar Leute kamen vorbei. Sie konnte sie genau sehen. Der Nebel war zwar dick genug, um die Sonne zu verdecken, aber er lieferte nicht genug Schutz, um ungesehen zu entkommen.
Der Sand war jetzt viel wärmer als die Luft, und Jingles kroch wieder zurück an ihren Platz hinter dem Pfahl und legte sich hin. Sie benutzte ihre Arme als Kissen. So war es besser. Die kalte Luft kroch immer noch über ihren Rücken, aber der in den Sand geschmiegte Oberkörper war warm.
Sie schaute nach rechts. Lorna war immer noch ausgestreckt und schlief. Sie drehte den Kopf in die andere Richtung.
Durch das matte Licht blinzelte sie zu den Brettern an der Grundmauer des Funhouse hinüber.
Wenn man ein paar dieser Bretter wegzerren konnte … Vielleicht war es da drin angenehm und warm.
Sie biss die Zähne zusammen, damit sie nicht klapperten. Man konnte da drin warten, bis es dunkel war. Sicher und gemütlich.
Jingles raffte sich auf. Sie hockte sich auf die Knie und strich den Sand von ihrer Haut. Dann kroch sie hinüber zu Lorna und schüttelte sie, bis sie wach wurde. Lorna rollte sich auf die Seite, zog die Knie an und legte die Arme um ihren Körper. »Gott, ist das kalt!«
»Komm mit.«
»Was gibt’s?«
»Das wirst du schon sehen.«
Lorna folgte Jingles zu der vernagelten Ecke der Mauer.
»Was wollen wir hier?«
»Ich denke, wir können hier rein.«
»Ach, Scheiße.«
»Willst du lieber frieren?«
Jingles grub ihre Finger unter das Ende eines Brettes und zog.
Sie rechnete mit Widerstand.
Nahm an, die Bretter wären an die Wand genagelt.
Aber der ganze Verhau zusammengenagelter Bretter schwang auf wie eine Tür.
Es ist eine Tür!
Jesus Christus!
Hinter der Öffnung war absolute Dunkelheit. Aber sie spürte, wie die Wärme herausdrang.
»Das gefällt mir nicht«, murmelte Lorna.
Mir auch nicht, dachte Jingles. Eine richtige Tür. Eine Geheimtür. Nein, das gefiel ihr wirklich überhaupt nicht.
Aber die Wärme fühlte sich wunderbar an.
»Es ist warm«, sagte sie. »Los, komm.«
Jingles ging in die Dunkelheit hinein. Lorna folgte ihr. Jingles zog die Tür zu.
»Yeah«, sagte sie. Die Wärme fühlte sich gut auf der Haut an. Sie fror nicht mehr. Sie seufzte. »Das ist toll, nicht wahr?«
Und dann spürte sie die Hände – überall.
16
Nach dem Duschen nahm Dave den Verband ab, den man ihm in der Notaufnahme angelegt hatte und der nun völlig durchnässt war. Die Schnittwunde begann etwa fünf Zentimeter unterhalb seiner rechten Brustwarze und war fast zehn Zentimeter lang. Man hatte sie mit einigen Stichen zusammengenäht, und sie sah jetzt wie eine Art Reißverschluss aus. Die Klinge hatte zwar seine Haut geritzt, aber nicht das darunterliegende Muskelgewebe.
Wenn er nur etwas langsamer ausgewichen wäre …
Von der Erinnerung daran, wie das Messer auf seine Brust zustieß, wurde ihm übel.
Da hast du noch mal Schwein gehabt, sagte er sich. Er stellte sich einen neuen Verband aus Gaze und Heftpflaster her und klebte ihn auf die Wunde. Im Schlafzimmer kämmte er sich und zog einen Bademantel an. Dann ging er in die Küche hinüber, um sich ein Bier zu holen. Als er die Kühlschranktür öffnete, klingelte es an der Haustür.
Er hatte eigentlich nicht erwartet, dass Gloria vorbeikommen würde, nachdem er ihren Gesichtsausdruck bemerkt hatte, als Joan zu ihm in den Krankenwagen stieg. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, in der Notaufnahme aufzutauchen. Aber offenbar hatte sie sich doch entschlossen, vorbeizukommen, um ihn zu bedauern oder ihm zu gratulieren – oder ihn für den Standard zu interviewen.
Bulle bricht jugendlichem Krawallmacher den Arm. Er sollte ihr einfach sagen, dass er keine Lust hatte, sich zu streiten, und sie bitten, ein anderes Mal wiederzukommen.
Aber vielleicht ist sie nicht deswegen hier, dachte er, während er zur Tür ging. Vielleicht will sie mich trösten. Das könnte mir
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