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Die Gang: Roman (German Edition)

Die Gang: Roman (German Edition)

Titel: Die Gang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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gewesen.
    Und ich bin die Richtige?, fragte sie sich, als sie die Treppe hinunterging.
    Aber ganz bestimmt.
    Sie fühlte sich wunderbar.
    Joan ging zum Streifenwagen. Sie warf die Jacken in den Kofferraum, verschloss ihn wieder und eilte über den Parkplatz zurück.
    Sie atmete tief ein und genoss die Seeluft. Die Sonne wärmte sie, und die Brise streichelte ihre Haut. Sie fühlte sich schwebend und fest und stark und lebendig. Es gefiel ihr, wie der Wind ihr T-Shirt und die Shorts gegen ihre Haut drückte. Ihr gefiel das Gewicht des Ledergürtels auf ihrer Hüfte. Sogar das Hungergefühl in ihrem Magen machte ihr Spaß. Dann sah sie zwei Pennerinnen auf den Betonstufen sitzen. Und es war vorbei mit ihrem Wohlgefühl.
    Plötzlich hatte sie Schwierigkeiten zu atmen. Ihr Herz raste. Ihr Magen fühlte sich kalt und taub an. Ihre Knie wurden weich und zittrig.
    Eine der Pennerinnen war Gloria.
    Mein Gott, dachte sie. Dave zu verlieren mag ein schwerer Schlag für die Frau gewesen sein, aber so schnell so tief zu sinken …
    Dann wurde ihr klar, dass es sich um eine Verkleidung handelte.
    Der Schreck ließ langsam nach.
    Gloria war nicht zusammengebrochen. Sie hatte vor ein paar Tagen den Artikel über die Trolljäger geschrieben, und gestern hatte sie versucht, Penner auf der Promenade zu interviewen. Jetzt war sie noch einen Schritt weiter gegangen – einen großen Schritt – und hatte sich selbst als Pennerin verkleidet.
    Das war ihr ziemlich gut gelungen. Ihr Haar, normalerweise schwarz und wohlgepflegt, war jetzt verfilzt und mit grauen Strähnen durchzogen. Ihr Gesicht war schmuddelig. Sie trug ein schäbiges graues Sweatshirt mit Löchern darin – wahrscheinlich mit der Schere gemacht, dachte Joan. Durch die Löcher konnte man ein Unterhemd sehen. Ihr ausgebleichter Rock, ein lila Ding mit Blumenmuster, war vielleicht ein Sonderangebot aus einem Billigladen. Unter dem Rock trug sie rote Strumpfhosen. Ein Knie der Strumpfhose hatte ein großes Loch. Statt Schuhen trug sie braune Einkaufstüten aus dem Supermarkt, die mit Kordel um die Knöchel gebunden waren. Auf der Treppe neben ihr stand eine weitere Tüte aus dem Supermarkt, die den Behälter für all ihre irdischen Besitztümer darstellen sollte.
    Entweder das, dachte Joan, oder es ist noch ein Ersatzschuh.
    Bis jetzt hatte Gloria Joan nicht bemerkt. Sie blickte ihre Gesprächspartnerin an – eine fette ältere Frau, die eine Strickmütze und einen Mantel trug. Die wabbeligen weißen Knie der Frau waren nackt unter dem Mantel. Ihre Waden sahen aus, als würden sie von den Gummibändern ihrer Kniestrümpfe gewürgt. Sie trug große, abgenutzte Soldatenstiefel. Während sie redete, gestikulierte sie wild mit den Armen, verzog das Gesicht und rollte die Augen. Gloria nickte. Dieses Nicken reichte eigentlich aus, um sie zu verraten, dachte Joan. Es bewies, dass sie wach und interessiert war.
    Joan ging einen Schritt auf die Frauen zu. Dann wandte sie sich ab und stieg die Treppe hinauf. Ich werde mich nicht einmischen, sagte sie sich. Zum Teufel damit. Gloria ist eine erwachsene Frau. Aber sie würde Dave davon erzählen müssen.

22
    Jeremy verließ das Bad und eilte in die Küche. Seine Mutter hockte auf dem Boden und legte einen Schrank mit selbstklebendem Papier aus. Er blickte auf die Uhr. Zehn vor eins. Eigentlich sollte er schon auf dem Weg sein. Mom zog den Kopf aus dem Schrank und sah ihn stirnrunzelnd an. »Geht es dir auch gut, Schatz? Du bist jetzt alle fünf Minuten zur Toilette gerannt.«
    Das war übertrieben, aber er war tatsächlich innerhalb der letzten Stunde dreimal dort gewesen. »Muss was Falsches gegessen haben«, sagte er.
    »Wenn du irgendein ungesundes Zeug in Funland gegessen hast …«
    Die Krämpfe gingen schon wieder los! Er biss die Zähne zusammen und eilte zurück zur Toilette, riss die Badehose herunter und ließ sich gerade noch rechtzeitig auf der Klobrille nieder.
    Mist! Jetzt komme ich aber wirklich zu spät.
    Er war überzeugt, dass sein Problem nichts mit Essen zu tun hatte. Es hing wohl eher mit einem toten Troll zusammen oder vielleicht auch mit Shiner. Als wollten ihn seine Eingeweide daran hindern, zum Schauplatz des Todes zurückzukehren oder seine Verabredung mit dem Mädchen einzuhalten. Oder beides.
    Er war fertig und ging zurück in die Küche. Die Uhr zeigte jetzt zwei Minuten vor eins.
    »Kann ich das Auto nehmen?«, fragte er.
    »Ich habe um zwei einen Termin«, sagte Mom. »Ich werde dich zum Strand fahren,

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