Die Gauklerin von Kaltenberg
zwischen Ludwig und meiner Familie beenden. Mein Vater würde dasselbe wollen.« Er sah sie an und wirkte auf einmal er wachsen. »Der Plan war offenbar, Ludwig zu ermorden, wenn er ein Buch bekommt, auf das er wartet. Aber das Buch wurde ge stohlen.« Er trank seinen Wein aus und drehte sich ein wenig am Feuer. »Leopold schnaubte wie ein gereizter Eber. Er schwor, wenn er die Gauklerin fände, die es genommen hat, würde er ihr die Haut in Streifen vom Leib reißen. Er will jeden Mann, den er entbehren kann, auf ihre Fährte setzen.«
5
»Du hast das Schlimmste hinter dir, Anna«, meinte Arsatius, der Bruder Apotheker im Herbarium von Benediktbeuern. »Ich gebe dir noch einmal die Salbe. Sie riecht ziemlich stark nach Minze, aber das kennst du ja schon. Trag sie weiter morgens und abends auf die Brust auf.«
Bei der Erwähnung eines so intimen weiblichen Körperteils er rötete er. Er war etwas über fünfundzwanzig, und der helle Haar kranz um seine braungebrannte Tonsur noch dicht. Von der Arbeit im Freien war sein Rücken gebeugt und die Haut braun und faltig wie Leder. Als er ihr die Salbe reichte, spürte Anna den scharfen, nicht unangenehmen Geruch. »Es war gut, dass Herr Konrad dich hierhergebracht hat. Deine Lunge war entzündet, woanders wärst du vermutlich gestorben. Wir haben hier eines der besten Herba rien Baierns.« Dass man sie hierbehalten hatte, konnte sie nur dem Deutschherrn verdanken, auch wenn sie nicht verstand, warum er es für sie tat.
Das Herbarium war eine kleine, abgeschlossene Welt. Ge schützt von einer kleinen Mauer und den Obstgärten, lag es an einem der sonnigsten Plätze der Enklave. Hinter der Klostermauer sah man die Berge, aber dichte Heckenrosen hielten kalte Winde ab. Eine Hütte diente zum Trocknen der Kräuter und Ansetzen der Tinkturen. Heute konnte Anna zum ersten Mal selbst hierher kommen und war verzaubert von den Düften nach Thymian und Minze und tausend anderen, die sie nicht einmal kannte.
»Das hier ist Fenchel«, erklärte Arsatius, als er ihr Interesse bemerkte. Vermutlich wusste er, wie gern Gaukler die Rezepte kräuterkundiger Mönche aufschnappten. Da sie viel herumkamen, ver dientensie sich oft ihr Geld als Quacksalber. »Wenn man die Samen zerkaut und den Saft ins Auge träufelt, lindern sie Entzündungen. Efeu, Bilsenkraut und Kamille kennst du ja. Und den Lavendel hat mir ein Bruder aus Frankreich mitgebracht.«
»Das ist ein Zaubergarten.« Anna drehte sich im Kreis und ge noss die warme Augustsonne. Aus Rücksicht auf den geweihten Ort hatte sie ein helles Leinenkopftuch im Nacken geknotet, nur ein paar goldene Strähnen fielen in ihr Gesicht. Zum ersten Mal seit Wochen hatte sie ein Bad nehmen können – wenn auch erst gestern Abend nach Einbruch der Dunkelheit, um bei nieman dem die Sinnenlust zu reizen. Wochenlang hatte sie zwischen Le ben und Tod geschwebt, mit allen Kräften gegen das scheinbar Unausweichliche gekämpft. Die sicheren Klostermauern, die regelmäßigen Mahlzeiten, der beruhigende Wechsel von Gebet und Arbeit der Mönche, selbst das nahe Moor mit seinem fri schen Geruch nahm sie jetzt mit allen Sinnen auf. Ohne einen Ge danken an die Zukunft war sie einfach nur glücklich, am Leben zu sein.
»Und dort drüben ist die Bibliothek.« Stolz, einmal einem Gast alle Wunder der Abtei zeigen zu können, wies er auf das wuchtige Hauptgebäude. »Wir haben eine Schreibschule und mehr als zweihundertfünfzig Handschriften. Das ist alles, was ein gebilde ter Mönch wissen muss.«
Anna kam zum Stehen, sie dachte an das Buch mit den Car mina. Als sie krank geworden war, hatte man ihre Habseligkeiten dem Bruder Krankenpfleger anvertraut. In seiner Obhut war es noch. Es schien ihr der sicherste Ort, denn in den Gästehäusern von Klöstern wurde fast mehr gestohlen als auf Jahrmärkten. Sie war noch nicht sicher, was sie mit dem Buch tun sollte, wenn sie es nach Kaltenberg gebracht hatte. Was Herzog Leopold damit geplant hatte, bewies ihr, dass es in Gefahr war.
»Gibt es Neuigkeiten?«, fragte sie.
Arsatius bückte sich, um ein paar Grashalme aus seinem Ka millebeetzu zupfen. »Nach dem Gerücht um das Mordkomplott hat König Ludwig wieder angefangen, seine treuen Städte zu belohnen. Er ist klug. Wenn er die Orden und die Städte stark macht, entlastet das sein Säckel und erhält ihm Geldgeber. Ludwig lässt sich nicht einschüchtern. Im September soll es sogar ein Turnier für den Adel und die Städte im Westen Baierns geben.
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