Die Gauklerin von Kaltenberg
verscharrte.
Der Deutschherr wandte ihr das scharfe Profil zu, und jetzt er innerte er auch äußerlich an Raoul. »Ich konnte nicht leben in dem Gedanken, dass der Mann, der Schuld daran trug, ungestraft blei ben sollte!«, presste er hervor. »Auf Notzucht steht der Tod, aber du weißt vermutlich selbst, dass dieses Verbrechen kaum zu bewei sen ist. Ich konnte ihn nicht zur Rechenschaft ziehen. Nicht vor einem Gericht«, setzte er zwischen den Zähnen nach. »Also nutzte ich die Versammlung der Räte des Herzogs, die damals in Lands berg stattfand. Es war ein regnerischer Abend, als er nach Hause ritt«, sagte er wie überrascht, dass er sich an jeden Augenblick er innerte. »Das Läuten zur Komplet war noch nicht lange vorbei, als ich ihn auf einem Weg bei Kaltenberg traf. Er trug sein Schwert und den Dolch, und auch ich hatte keine anderen Waffen bei mir. Mein Bruder begleitete mich, er sollte später bezeugen, was geschehen war. Ich schwöre, dass ich einen ehrlichen Zweikampf wollte.«
»Aber Winhart wies Euch ab?«
»Ja. Und ich verlor die Beherrschung«, bestätigte Konrad. »Als er vor mir auf dem schlammigen Boden lag – meinen Dolch in der Brust – als mein Bruder mich wegzerrte und meine Hände voll Blut waren –, erst da begriff ich, was ich getan hatte.« Er wartete, wieum sich zu sammeln, ehe er weitersprach. »Ich habe dafür gebüßt. Zuerst mit der Reichsacht, mit dem Verlust meiner Güter und meiner Ehre. Kurz bevor Herzog Ludwig zum König gekrönt wurde, starb meine Frau am Fieber. Damals ließen sich die Deutschherren in Hegnenberg bei Kaltenberg nieder. Ich hatte das Gefühl, Gott sei der einzige Herr, dem ich noch dienen könnte. Also schloss ich mich ihnen an.«
Annas Herz schlug zum Zerspringen, auf ihrer Stirn perlte fieb riger Schweiß. Ihr wurde klar, was das bedeutete: Niemals konnte es zwischen Raoul und Ulrich Frieden geben. Sie waren gefangen in einem Kreislauf aus Hass, einem Kreislauf, der zu alt war, als dass sie ihn je durchbrechen könnten.
»Seid Ihr wegen der Fehde in den Orden eingetreten?«, fragte sie. Eine Sühne erklärte, warum ein Mann wie Konrad sich für das geistliche Gewand entschieden hatte.
Ein kaum wahrnehmbares Lächeln belebte die strengen Züge. »Ja, und nein. Kurz bevor das Heilige Land endgültig an den Is lam verlorenging, war ich in Akkon gewesen. Damals lag dort der Hauptsitz der Deutschherren. Es war eine glückliche Zeit, viel leicht wollte ich daran anknüpfen.«
Und in Akkon war Raoul geboren, in Schande, ohne irgend etwas von seinem Vater zu wissen. Nicht einmal seinen Namen.
Konrad forschte in ihrem Gesicht. Seine harten Lippen bebten kaum sichtbar. »Du bist Raoul begegnet«, stellte er fest.
Er wusste von ihm! Anna ließ das Schweigen zwischen ihnen hängen. Sie erinnerte sich, was irgendjemand auf Kaltenberg einmal über Raoul gesagt hatte: Wäre er nicht mit dem Teufel im Bund, könnte er der Erste aller Ritter sein. Oft hatten die Frauen getuschelt, sein gutes Aussehen und seine Tapferkeit würden ihn als adligen Herrn ausweisen. Vielleicht wäre alles anders gekom men, wenn das Schicksal ihn besser behandelt und Konrad sich zu ihm bekannt hätte. Obwohl sie sich vor Schwäche kaum aufsetzen konnte, wurde sie wütend.
»Dufragst dich, warum ich ihn nicht anerkenne.« Konrad schien ihre Gedanken zu lesen. Obwohl er einer Gauklerin gegen über keinen Grund hatte, sich zu rechtfertigen oder auch nur zu erklären, sagte er: »Er weiß nicht, wer ich bin, und er wird es nie erfahren. Auch du wirst es ihm nicht sagen!«, befahl er scharf.
Anna sank zurück auf das Lager. Was Konrad von ihr verlangte, konnte sie nicht versprechen. Sie kam sich vor, als sollte sie Raoul verraten. »Warum?«, flüsterte sie.
»Weil es besser ist«, erwiderte er ironisch. »Du bist ihm begeg net, dann weißt du auch, wie sehr er mir ähnelt. Viel mehr, als gut für ihn ist«, setzte er leiser nach. Je länger sie es wusste, desto auf fälliger erschien Anna die Ähnlichkeit. Derselbe Schnitt der Au gen, derselbe unvermittelt weiche Zug um die Lippen.
Zögernd hörte sie ihn fragen: »War mein … war Raoul gesund?«
Anna bejahte, aber ihre Lippen waren so trocken, dass sie kaum noch sprechen konnte. Sie schloss wieder die Augen und hörte Schritte, die sich näherten.
»Noch eins, Herr, das Buch ich bei mir hatte … Herzog Leopold wollte es benutzen, um den König zu töten. Ludwigs Ruf sollte vernichtet werden … aber es ist kein
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