Die Gauklerin von Kaltenberg
Ketzerwerk.«
Augenblicke lang hörte sie ihn nicht einmal atmen. Dann fühlte sie ein feuchtes Tuch über ihre Lippen und ihre Schläfen streifen und seine Hand auf ihrer Stirn. »Es gibt nicht viele Männer, die es wagen, Leopold herauszufordern«, hörte sie seine Stimme, dunkel und warm wie die seines Sohnes. »Der König wird davon erfahren. Du brauchst Ruhe und gutes Essen, aber mit Gottes Hilfe wirst du leben. Ich werde für dich beten.«
4
»Lasst mich los!« Wütend wehrte sich der junge Mann, als ihn die Münchner Stadtbüttel vom Pferd zogen. An dem verregneten, un gewöhnlich kalten Augustabend waren die Straßen verlassen. Nur die Hufe klapperten auf den Isarkieseln, als das Pferd scheute. Der Reiter hatte den zu großen Kapuzenmantel zum Schutz vor Re gen und Wind tief ins Gesicht gezogen.
»Nichts da. Ihr wolltet pfeilgrad auf die Herzogsburg zu!«, hielt der Anführer der Büttel dagegen. Die Burg hatte ihre eigenen Wachen, aber seit den Gerüchten, man hätte den König ermorden wollen, fühlte er sich mit verantwortlich. In den Fenstern der wehr haften Bauten rechts und links zeigten sich neugierige Gesichter. Die Bewegungen des Reisenden verrieten, dass er noch jung war, er wand sich wie eine Maus. Konnte es ein Gesandter des Königs sein? Schon seit Monaten war Ludwig nicht hier gewesen, wo seine Gemahlin ungeduldig auf Nachrichten wartete. So wenig verhei ßungsvoll diese Ehe begonnen hatte, so wenig hörte man jetzt von Mätressen des Königs. Das erschien den Münchner Bürgern der art fremdartig, dass die einen oder anderen schon hinter vorgehal tener Hand munkelten, der König bevorzuge Männer. Andere meinten, Ludwig halte seine Seitensprünge nur besser geheim, aus Rücksicht auf seine Gemahlin.
»Keine Ausflüchte, Bursche! Los, ab zur Burg, die werden dich schon weichklopfen.«
Obwohl der junge Mann sich mit Händen und Füßen wehrte, schleppten sie ihn mit vereinten Kräften zu den mehrere Ellen dicken Mauern. Aus der Wachstube im Bergfried liefen ihnen die Burgsoldaten entgegen.
»Lasstmich los, ihr Narren!«, tobte der junge Reiter. »Ich bringe eine Botschaft für die Königin!« Die Wachsoldaten, die un ter den feuchten Waffenhemden sichtlich froren, schienen über rascht von seinem befehlsgewohnten Ton. Sie traten zurück.
Der Junge schlug die Hände in den regenschweren Handschu hen ineinander. Steifbeinig lief er in den ungewohnten Reisestie feln auf und ab. Seit Stunden hatte er im Sattel gesessen.
Der dienstälteste Wachmann hob die Kapuze und schien über rascht. Er durchsuchte den Jungen nach Waffen und nahm den Dolch an sich, den er wie jeder Reisende trug. Sonst hatte er nichts bei sich.
Ein Baumstumpf brannte in dem gewaltigen Kamin der Kemenate. Teppiche bedeckten die Wände, und die Fenster schützte Per gament vor der Kälte. Die Königin saß in einem ledernen Faltstuhl. Ihr blondes Haar war mit einem goldenen Netz bedeckt, und hier unter ihren Damen trug sie kein Gebende. Gelangweilt lauschte sie der Chronik, aus der ihr eine ältliche Hofdame vorlas. Die Gräfin hatte die Geschichte von Ludwigs Vater ausgesucht: jenem ge strengen Herzog, der seine Frau des Ehebruchs verdächtigt und in ihren Gemächern hatte erschlagen lassen . Beatrix fragte sich amü siert, ob ihr eigenes Hofgesinde sie an die eheliche Treue erinnern wollte. Immerhin war Ludwig schon seit Monaten unterwegs.
Die eintönige Leier wurde jäh unterbrochen: Beatrix’ Sohn, der fünfjährige Ludwig, hatte seinem kleinen Bruder einen Holzritter gegeben. Die beiden Spielzeugkämpfer waren zu Pferd auf einem Tisch aufgestellt und konnten mit Schnüren bewegt werden, auf einander loszugehen und zu tjosten. Der Kleine lallte etwas, aber seine zweijährige Schwester Agnes kam ihm zuvor. Sie packte das Spielzeug und verkündete stolz: »Ritter.«
Der kleine Stefan brüllte, und die Kinderfrau ging dazwischen. »Schämst du dich nicht«, fuhr sie seine Schwester an. »Waffen in der Hand eines Mädchens, wie passt denn das?«
Währenddie heulende Agnes aus dem Zimmer getragen wurde, leierte die Gräfin weiter das blutige Gemetzel herunter. Beatrix ging in Gedanken die Männer bei Hof durch. Nein, große Ver suchungen erwarteten sie wirklich nicht. Entweder sie waren alt und ständig schlecht gelaunt – grantig, wie man hier sagte – oder nur in sich selbst verliebt. Sie dachte an die Nacht vor Ludwigs Ab reise. Zum ersten Mal hatten sie ernsthaft gestritten: Ludwig hatte herausgefunden, dass sie
Weitere Kostenlose Bücher