Die Gauklerin von Kaltenberg
Handschrift mit dem Lied, das ist so gut wie ein Bürge!«
Ihre Erleichterung war so groß, dass sie am liebsten gleichzei tig gelacht und geweint hätte. Sie hatte diese Handschrift gefun den und hierhergebracht: Anna, die unbedeutende Schmiede tochter aus Kaltenberg! Sie konnte ihren Ruf von jedem Makel reinwaschen, und selbst Hermann von Rohrbach würde es nicht mehr wagen, sie eine Hexe zu nennen!
»Das Buch war in einem Kloster, mitten in den Bergen. Bei nahe wären wir unterwegs getötet worden …« Sie unterbrach sich. Ulrich schwieg. »Der Propst wollte es mir nicht geben«, fuhr sie fort. »Aber ich wollte zu dir, und …« Sie verstummte. Erwar tungsvoll sah sie ihn an. »Du sagst ja gar nichts.«
Er biss sich auf die Lippen. »Woher hast du so etwas?«, fragte er schließlich. »Hast du es gestohlen?«
»Das ist doch jetzt nicht wichtig«, erwiderte sie ungeduldig. Sie hatte erwartet, dass er sich mit ihr freuen würde, dass er sofort mit dem Buch zu seinem Vater gehen und die Sache endlich aus der Welt schaffen würde. Stattdessen druckste er herum wie ein Klos terschüler, der Angst vor seinem Novizenmeister hatte.
»Wollen wir die Vergangenheit nicht ruhen lassen?«, erwiderte er endlich und nahm sie wieder in die Arme.
»Ruhen lassen?« Einen Moment glaubte Anna, sich verhört zu haben.
Ulrich antwortete nicht. Sie hatte das Gefühl, als wäre es ihm unangenehm. Neugierig tuschelnd standen die Diener im Hof und sahen immer wieder zu ihnen herüber.
Anna trat zurück und betrachtete ihn. Erst jetzt fiel ihr auf, dass seine Augen undurchsichtiger waren als früher. Was ihr früher rätselhaft erschienen war, wirkte sonderbar leblos, wie bei einem Fisch. Sie musste an Raouls ausdrucksvolle Augen denken. Ulrichs Kieferknochen trat stärker hervor, als würde er angespannt die Zähneaufeinanderpressen. Lena hatte recht gehabt. Er hatte sich verändert, wirkte härter. Fremd.
Unvermittelt schrie sie ihn an: »Sollen mich die Leute ewig für eine Hexe halten? Jeder könnte mich töten, ist dir das gleich?«
»Schrei nicht so, das Gesinde redet schon!«, zischte Ulrich. »Ich habe ein Turnier auszurichten, ich kann keinen Jahre alten Pro zess wiederaufrollen. Weißt du, wie lange so etwas dauert? Schlag dir das aus dem Kopf«, sagte er dann ruhiger.
»Es mir aus dem Kopf schlagen? Dein Vater wollte mich um bringen, hast du das vergessen? Ich will mit ihm sprechen!« Sie würde auf der Burg arbeiten und sich von Gertraut anschreien las sen, wenn sie nur bei ihm sein konnte. Anna wollte ihn umarmen, ihn bei sich spüren und wissen, dass alles wieder sein würde wie früher.
Mitten in der Bewegung blieb sie stehen. Ein entsetzlicher Ver dacht kam ihr. In all den Jahren hatte sie sich diese Frage nie ge stellt, aber jetzt drängte sie sich ihr auf. »Hast du gewusst …«, fragte sie stockend, »… dass dein Vater mich töten lassen wollte?«
Ulrich presste die Kiefer aufeinander.
Anna biss sich auf die Lippen, um die Tränen zurückzuhalten. Widerstrebend schüttelte sie den Kopf, wollte es nicht glauben. »Du wusstest es«, flüsterte sie.
»Mein Vater hat mich gezwungen«, erwiderte er ungeduldig. »Jutha verlor ihr Kind, ich … ich hätte sie nicht schlagen dürfen. Ihre Familie sollte mich damals gerade bei Hof einführen. Sie schrie nach Genugtuung. – Ich wollte nicht, dass er dich ertränken lässt!«, beschwor er sie. »So außer sich vor Wut habe ich ihn nie er lebt. Es ging nicht darum, dass ich eine Geliebte hatte. Aber wenn Jutha gestorben wäre, wäre alles umsonst gewesen. Er sagte, er würde die Sache in die Hand nehmen.«
Und Ulrich hatte keinen Finger gerührt, um die Frau zu verteidigen, die er liebte. Für einen Moment wurde alles in Anna taub. Wahrscheinlich hatte er nicht einmal nachgefragt, was sein Vater mitihr vorhatte. Er hatte sie geopfert – eiskalt ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um seine Ehre nicht zu gefährden. Sie schloss die Augen. Es tat weh, die Wahrheit zu hören.
Ulrichs Stimme wurde lebhaft. »Aber das ist nun anders. Ich habe meinen Platz am Hof des Königs. Jetzt kann ich mir so viele Geliebte halten, wie ich will. Es wird alles wieder so wie früher.« Er kam heran und wollte sie umarmen.
»Fass mich nicht an!«, schrie sie so laut, dass er überrascht zu rückfuhr. Ihre Stimme zitterte vor Wut und Verachtung. Nichts war mehr wie früher. Tausendmal hatte sie sich diesen Moment vorgestellt, und jetzt hätte sie weinen können vor Enttäuschung.
Weitere Kostenlose Bücher