Die Gauklerin von Kaltenberg
ihm zu sein, dass der Gedanke, er könnte sie verlassen, unerträg lich war. Wieder musste sie an Juthas Worte denken. Sie richtete sich auf, und das offene Haar kitzelte ihren Rücken. »Kann ich nicht mit dir gehen?«
»Führe mich nicht in Versuchung!« Ulrichs Finger spielten mit einer Strähne, und er zog sie zu sich herab. Anna dachte an ihre Beichte, aber sie konnte nicht anders. Zärtlich vergrub sie die Hände in seinem blonden Haar und küsste ihn.
»Wer weiß«, flüsterte er.
Anna war so erleichtert, dass sie selbst als seine Trosshure mit gegangen wäre. Als sie das Zittern seiner muskulösen Schultern spürte, durchlief sie ein tiefes Glücksgefühl.
»Allmählich wirst du mir gefährlich«, lächelte er. »Ich sollte dich verbrennen.«
Erstlange nach der Matutin kam sie zurück ins Gesindehaus. Die halbe Nacht lag sie hellwach auf ihrem Strohsack. Während Gertraut neben ihr schnarchte, spürte sie Ulrichs Körper auf ihrem nach und träumte davon, mit ihm in der großen Stadt zu leben.
Am andern Morgen wurde sie erst von dem ungewöhnlichen Lärm im Hof geweckt. Der Duft von warmem Haferbrei kitzelte ihre Nase und machte sie munter. Neugierig trat sie an das win zige Fenster unter den weit vorragenden Dachsparren und sah hinab.
Zwei Reitknechte hatten offenbar Schwierigkeiten, ein unruhi ges Pferd zu bändigen. Rufe flogen hin und her, jemand schrie et was, und die Männer sprangen zur Seite. Das Pferd buckelte und schlug nach hinten aus. Schnaubend warf es den Kopf, die gewellte Mähne flog hin und her. Anna rieb sich den Schlaf aus den Augen. Überrascht sah sie genauer hin. Es war rabenschwarz, ohne einen weißen Fleck, wie man es nur selten sah. Gänzlich schwarze Tiere galten als satanische Kreaturen und wurden meistens getötet. Aber einmal war sie einem solchen Pferd begegnet – in der Nacht, als das Dorf geplündert wurde.
Anna kämpfte gegen eine plötzliche Beklemmung an. Das Pferd hatte einen Reitknecht auf den Lehmboden geworfen und bäumte sich auf. Seine Vorderhufe fegten durch die Luft, und schreiend hob der Mann die Arme, um seinen Kopf zu schützen.
Eine scharfe Stimme rief etwas in einer fremden Sprache. Das Pferd kam zu Boden und bespritzte den Knecht von oben bis unten mit Schlamm. Schnaubend wich es zurück zu den Handwerkerbuden, deren Insassen sich brüllend an die Wände drück ten. Der Mann kam auf die Beine. Offenbar hatte er keine ernste Verletzung davongetragen.
»Das ist ja der Teufel persönlich!«, fluchte er und machte sich aus dem Staub. In sicherer Entfernung krempelte er seinen Ärmel hoch und begutachtete eine blutende Schramme.
Jemand lachte dunkel. »Ab und zu versucht er sogar seinen Herrnzu töten. Aber nicht öfter als jede gute Ehefrau.« Dunkles, schulterlanges Haar kam in Annas Blickfeld. Ein junger Mann hatte die Zügel ergriffen und redete beruhigend auf das tänzelnde Pferd ein. Ein gegürteter schwarzer Waffenrock fiel über die Knie auf die schweren Lederstiefel. Anna fuhr zusammen und stieß schmerzhaft gegen den Dachsparren. Leise fluchend betastete sie ihre Stirn.
Der fremde Ritter sah, aufmerksam geworden, zum Gesinde haus hinauf. Ihre Augen trafen sich. Anna fiel ein, dass sie nichts anhatte, und mit einem erschrockenen Keuchen zog sie sich zu rück. Sie lehnte sich neben dem Fenster an die Wand und schlug beide Hände vor den Mund. Für ihn also hatte Jutha die Vorräte überprüft. Langsam ließ Anna die zitternden Hände sinken. Sie schloss die Augen und versuchte ihren heftigen Atem zu beruhi gen. Tagelang hatte sie gebetet, diesen Mann nie wiederzusehen, und nun war er hier – als Ulrichs Gast!
»Er ist mit dem Teufel im Bund!«, flüsterte jemand. Gertraut war herangekommen und bekreuzigte sich. »Vorhin blieb er vor dem Eingang zur Kapelle stehen, als könne er die Schwelle nicht übertreten.«
»Das ist der Mann, der mit den Plünderern hier war!«, stieß Anna hervor.
»Der?« Der Morgen musste kühl sein, denn die alte Magd zog ihren ausgewaschenen Umhang fester um die Schultern. »Er heißt Raoul. Die Knechte sagen, er sei ein fahrender Ritter. Niemand weiß, woher er kommt und in wessen Dienst er steht. Aber sie ha ben Angst vor ihm.«
»Er ist es.« Anna bebte vor Angst und Hass. Vorsichtig trat sie wieder ans Fenster. Ein zweiter Mann kam in ihr Blickfeld, offenbar sein einziger Diener. Um seinen Kopf war ein Tuch gewunden, wie Anna es noch nie gesehen hatte. Die Männer wechselten einige Worte. Ihre Sprache schien
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