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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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schon gut. Also meine Kleider gegen nichts. Aber nur, weil du so ein net tes Mädchen bist.«
    Sie ließ sich wieder nieder und griff neugierig nach dem Buch, das neben ihm lag. Sie konnte nicht lesen, aber sie sah, dass eine ungeübte Hand es geschrieben hatte.
    »Das ist mein Spielmannsbuch«, erklärte er – so hastig, dass Anna neugierig wurde. »Nur meine Carmina stehen drin – meine Lieder.«
    Ein zusammengefaltetes Stück Pergament lag lose darin, und sie klappte es auf.
    Gebannt starrte Anna das Bild an. Es zeigte eine Herrscherin mit Mantel und Krone in einem rot ausgemalten Rad. Es fiel Anna schwer, dem starren Blick der gemalten Augen standzuhalten. Die Speichen des Rades hoben einen Mann hoch. Oben in dem blau und gelb ausgemalten Kreuz war er König über eine Stadt, dann wurde er in den Staub geworfen und unter den Füßen der Frau zertreten. Obwohl die Linien der Zeichnung einfach waren, be eindruckte sie Anna. Sie sah sofort, dass dieses Bild nicht von dem jenigen gemalt war, der die Texte in das Buch gekritzelt hatte.
    »Das Schicksalsrad«, sagte Falconet unwillkürlich. »Es be herrscht alles. Wenn es sich dreht, wirft es selbst Könige in den Staub.«
    »Was steht daneben? Kannst du mir beibringen, das zu lesen?«
    Er rutschte auf dem Boden herum. Schließlich nahm er es ihr aus der Hand. »Natürlich kann ich, aber nicht jetzt«, sagte er wi derwillig. Sie hatte das Gefühl, dass es nicht nur das war. Doch der Spielmann war offenbar nicht bereit, länger über das Buch zu spre chen. Er wies in die dunkle Ecke, wo eine bauchige Flasche lag und sich Ratten und Mäuse quiekend an den Abfällen gütlich taten. »Unsere Wette. Reich mir mal den Schnaps, wenn ich durstig bin, bringe ich nichts zustande.«
    Anna gab ihm die Flasche herüber. Woher er den Fusel hatte, wolltesie lieber gar nicht wissen. Falconet entkorkte die Flasche geräuschvoll, und ein scharfer Geruch nach Birne stieg auf. Er nahm einen tiefen Schluck, rülpste und griff in die Saiten. Anna hatte die warmen, sinnlichen Klänge erwartet, die sie an der Laute liebte. Stattdessen entlockte er dem Instrument einen volltönenden Akkord.
    » Estuans interius ira vehementi,
    in amaritudine loquor mee menti …«
    Sie verstand kein Wort, trotzdem prickelte es in ihr. Falconets Finger flogen über die Saiten. Der Rhythmus riss sie unaufhalt sam mit. Diese Musik hatte nichts mit den frommen Chorälen der Mönche zu tun, die sie schon gehört hatte, auch nicht mit den ein fachen Liedern der Bauern. Sie atmete eine unbeherrschte Lust am Leben – wie die, welche sie in Ulrichs Arme trieb. Sie lebte – jetzt!
    Falconet unterbrach sich plötzlich. Anna wurde aus ihren Träu men gerissen und blinzelte überrascht. Der Gaukler schielte nach dem Koch, doch der rührte weiter unbeeindruckt in dem Kessel mit der Lunge.
    »Gewöhnlich fallen die Vögel tot von den Bäumen, wenn ich das singe«, bemerkte Falconet beleidigt. »Der Kerl hat einfach kein Vagantenblut. Aber dir hat es gefallen, was?«
    Zum ersten Mal seit der Plünderung konnte Anna wieder la chen. »Mit dem fahrenden Volk habe ich auch nichts zu schaf fen!«
    Er musterte sie aus seinen flinken Augen. »Aber du hast es ge spürt, was? Ein Rhythmus wie die Fleischeslust! Hast du noch nie das Gefühl gehabt, dass Musik deine Gefühle besser ausdrückt als Worte?«
    Annas Lachen verstummte. Sie wollte nichts mit einem Gauk ler gemeinsam haben. Immer wenn sie zu den Spielleuten lief, musste sie sich nachher anhören, sie würde noch einmal auf der Straße enden.
    »Duhast es«, sagte er, ohne eine Antwort abzuwarten. »Schau nicht so wütend! Das ist eine Gabe, kein Fluch.«
    »Eine Gabe«, erwiderte sie unwirsch. »Zuhören, wie du an den Töpfen der Reichen bettelst?«
    Falconet musste lachen. »Meinetwegen, es geht auch um den Braten. Aber selbst der erbärmlichste Possenreißer kann Men schen ihr Elend vergessen lassen. Oft sehe ich in die Gesichter der Leute, die mir zuhören. Ich weiß, dass ihre Herren sie prügeln und schänden, und wenn es die Herren nicht tun, dann ein fehde lüsterner Ritter von einer benachbarten Burg. Und ich sehe, wie sie bei meinen Carmina lachen und weinen, wie sie fühlen, was sie sonst weit von sich wegschieben müssen. Das ist ein gutes Ge fühl. Bei mir sind sie die Könige.«
    Anna hatte ihm gebannt zugehört. Wider Willen riss sie sich aus der Verzauberung. »Du bist mir deine Kleider schuldig!«, wech selte sie das Thema.
    »Abwarten.« Falconet lachte,

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