Die Gauklerin von Kaltenberg
bekreuzigte sich und sprang auf. »Vergelt’s Gott!«, stieß er hervor und wies auf seinen Arm. Dann suchte er eilig das Weite.
»Ichhabe ihn erschreckt«, bemerkte Raoul verschlagen. »Hin ter meinem Rücken nennen sie mich Pullane – ein Schimpfwort für die orientalischen Christen.«
»Du solltest nicht mit dem Feuer spielen«, erwiderte Maimun und goss aus einer Kupferkanne Wasser über seine Hände. Sobald sie allein waren, war er wieder in ihre arabische Muttersprache gewechselt. »Du könntest sonst eher auf dem Scheiterhaufen en den, als du denkst. Nicht ganz zu Unrecht, mein Freund!«
Raoul hob spöttisch die Augenbrauen.
»Wenn du nicht sagst, wer du bist, darfst du dich nicht wundern, dass sie dich wie einen Fremden behandeln.« Maimun trocknete sich die Finger mit einem sauberen Tuch.
»Das Wetter übertrifft meine schlimmsten Befürchtungen«, wich Raoul ironisch aus. »Ein Wunder, dass hier überhaupt Men schen leben können. Merkwürdig, dass ihnen das Moos nicht aus den Nasen wächst.«
»Du bist verbittert«, gab Maimun zu bedenken. »Aber das ist das Land, nach dem du dich gesehnt hast. Du hast es mir in den leuchtendsten Farben geschildert.«
Raoul streichelte den Hals seines Pferdes und strich ihm über die zitternden Nüstern. Plötzlich musste er an den glühenden Him mel von Akkon denken, wo er seine Kindheit verbracht hatte: das Gewirr der engen Gassen, in denen sich jeder hoffnungslos verlor, der sie nicht von Geburt an kannte. Wie oft war er als Kind durch diese Gassen gerannt, auf der Flucht vor einem Händler, dem er eine Dattel gestohlen hatte. In den erbarmungslosen Wüsten Palästinas hatte er sich nach Baiern gesehnt. Aber auf einmal vermisste er die gleißende Sonne, die durch die Flechtdächer des Souks brach. Den unverwechselbaren, betäubenden Duft der Karawanen, jene verwirrende Mischung aus Kameldung, Zimt, Opium und Sandelholz. Und wie so oft dachte er an den Palast des Statthalters mit seinen schlanken, sich zu Arabesken verschlingenden Säulen, die Brunnen in verschwenderischen Gärten,das Lachen eines Mädchens … Aber das war Vergangenheit.
Maimun legte ihm die Hand auf den Arm. »Du hast nur noch dein Ziel vor Augen«, sagte er ernst. »Die Mittel, es zu erreichen, werden dir zusehends gleichgültig.«
Grob schob Raoul die Hand von seinem Arm. »Kümmere dich um deine Arzneien und überlass alles andere mir!«
»Was hast du mit dem Mädchen vor?«
Raoul sah ihn mit geheucheltem Unverständnis an.
»Dieses Mädchen, Anna«, erklärte Maimun. »Die Sache mit dem Fluch spricht sich herum, aber du hast offenbar keine Eile, sie zu töten. Und so wie du sie ansiehst …« Er bekam keine Antwort und zuckte die Achseln. »Nun, es geht mich nichts an. Aber deine Absichten scheinen mir nicht gerade sehr ritterlich.«
Raoul lachte trocken. »Rittertum bedeutet Dienen: Gott, dem König und den Frauen. Dazu eigne ich mich nicht. Gott hat mich bisher nicht sehr gnädig behandelt. Den König kenne ich nicht, und die Frauen …« Er spuckte aus: »Für die Frauen zählt nicht, was ein Mann ist, sondern seine Herkunft und seine Güter.« Er nahm die Decke von dem Fass, wo der Knecht gesessen hatte, und warf sie über den Rücken seines Hengstes.
»Es gab Zeiten, da hast du anders darüber gedacht.«
»Das ist vorbei, und du weißt, warum!«
»Sei auf der Hut, Raoul!«, warnte Maimun. »Seine Herkunft kann ein Mann nicht bestimmen. Nur das, was er daraus macht.«
Raoul schwieg einige Atemzüge lang, endlich nickte er. Seine Hände ruhten auf dem warmen, atmenden Rücken des Pferdes und folgten dem Spiel der Muskeln. Doch als Maimun ihm die Hand auf den Arm legte und den Stall verließ, waren seine Lippen hart und entschlossen. Er musste wissen, wer er war. Schon lange konnte er nicht mehr zurück.
Ulrichhatte Anna versichert, dass sie von Raoul nichts zu befürch ten hatte, solange sie auf Kaltenberg war. Sie war seine Schutzbe fohlene, und ein Gast musste den Burgfrieden achten. Aber angeb lich stand Raoul nicht mehr in den Diensten Friedrichs von Österreich. Er war ein Mann des mächtigen Grafen von Tirol, was es unmöglich machte, ihn abzuweisen. Nicht einmal, dass er die Burgsiedlung niedergebrannt hatte, ließ Ulrich gelten: Plünderun gen gehörten nun einmal zum Kriegsalltag. Auch wenn der Burg herr entschlossen war, die Augen offenzuhalten, hatte er Anna doch unmissverständlich klargemacht, dass er nichts gegen Raoul unternehmen konnte.
Enttäuscht und zornig
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