Die Gauklerin von Kaltenberg
war Anna zur Arbeit in die Küche zu rückgekehrt. Sie hatte fest mit seiner Hilfe gerechnet. Den ganzen Tag fuhr sie die anderen Mägde an, nicht einmal vor der alten Gertraut scheute sie zurück. Der Gedanke, mit einem Mann auf der Burg zu leben, der sie töten konnte, sobald Ulrich nicht hinsah, war beängstigend. Sie fror, das ständige Knacken des Feuers, das sie ihre Kindheit hindurch begleitet hatte, fehlte ihr. Und immer musste sie an Martin denken. Auch wenn Raoul ihn nicht selbst getötet hatte, ihr Bruder könnte noch leben, wenn er nicht gewe sen wäre. Niemals würde sie sich damit abfinden.
Beim Abendmahl im Gesindehaus blickte sie nachdenklich über die langen Tische, an denen Knechte und Mägde saßen. Das Gewölbe roch nach Bohnen und Schmalz. Wer Glück hatte, konn te aus den gemeinsamen Schüsseln auch noch die Reste der sau ren Lunge ergattern, doch sie bemühte sich nicht einmal darum. Nachdenklich starrte sie auf das Kruzifix im Herrgottswinkel und kaute auf dem groben Dinkelbrot herum. Raoul beherrschte die Gespräche schon den ganzen Abend.
»Keiner weiß, wie lange er bleiben wird und warum er hier ist«, murmelte Gertraut, während sie Brot schnitt. »Nicht einmal die Burgherrin. Und an sein Gepäck lässt er keinen heran, vielleicht hat er magische Pulver und Tränke bei sich?«
»Schauteuch meinen Arm an!«, stimmte Gernot zu, der Reit knecht, der sich am Morgen verletzt hatte. »Sein Diener hat ihn versorgt, und er entzündet sich nicht einmal. Das geht nicht mit rechten Dingen zu!«
»Warum trägt er nicht das Wappen und die Farben seiner Fami lie?« Gertraut beugte sich über den Tisch und zischte: »Die Lands berger behaupten, sie hätten noch nie einen Mann so kämpfen se hen. Ich sage euch, er steht unterm Banner des Teufels!«
Anna horchte auf. Wenn das stimmte, hätte Raoul sie mühelos mit der Armbrust treffen können, als sie auf die Burg geflohen war. Grübelnd formte sie ihr Brot zu einem Klumpen.
»Er ist ein Templer«, steuerte Gernot bei. »Mit seinen schwar zen Augen hat er mich angesehen wie der Leibhaftige. Und die Weiber«, flüsterte er mit einem Seitenblick auf die Frauen, die ge bannt zuhörten, »die Weiber macht er toll und lüstern!«
»Habt ihr nicht gehört, er hat einen mächtigen Gönner«, flüs terte Rosa, das Küchenmädchen. »Vielleicht …« Sie verstummte und bekreuzigte sich. Die anderen sahen sie an, und mit bleichen Lippen formte sie stumm das Wort »Luzifer«.
»Abergläubisches Gerede«, beendete Hartmut, der andere Reitknecht, das Gespräch. »Er wird im Dienst eines Fürsten ste hen, mit dem sich Herr Ulrich nicht anlegen will. Raoul ist geris sen. Er weiß, dass man ihn kaum hinauswerfen kann und dass er sich fast alles erlauben kann.«
Sie musste etwas finden, das es Ulrich ermöglichte, gegen ihn vorzugehen, dachte Anna. Und wenn Raoul wirklich magische Tinkturen verwahrte, konnte das genügen, um ihn hinauszuwer fen.
Unvermittelt schob sie ihrer Nachbarin die gemeinsame Schüs sel hinüber. Der Eintopf schwappte vom Tisch, und knurrend balgten sich die struppigen grauen Hunde darum. Gertraut sah überrascht auf, als Anna die Tiere mit dem Fuß beiseitescheuchte und aufstand.
Esregnete schon wieder, fröstelnd rieb sie sich die Arme. Sie machte sich nichts vor, sie hatte Angst. Ein einfaches Mädchen, das einen Ritter herausforderte! Sie musste verrückt sein. Aber lie ber wäre sie gestorben, als sich Tag und Nacht vor Raoul zu ver stecken. Die erleuchteten Fenster des Rittersaals verrieten, dass die Herrschaft noch speiste. Raoul würde an Ulrichs Tisch sitzen. Entschlossen raffte sie das schlammbespritzte Kleid und lief durch die Pfützen zum Stall.
Im Halbdunkel war es warm und roch nach Heu. Die mahlen den Laute der Pferdekiefer waren zu hören, gleichmäßig und be ruhigend. Nur das schwarze Pferd schnaubte unruhig. Die Sattel tasche lag am Boden, der Fremde schien Diebe nicht zu fürchten.
Jemand packte sie und drückte sie gegen die Wand. Anna wollte schreien, doch ehe sie einen Laut herausbrachte, spürte sie einen schweren Lederhandschuh auf Mund und Nase. Mit einem er stickten Laut versuchte sie sich zu befreien. Die Haare fielen ihr ins Gesicht, so dass sie den Mann nicht sehen konnte. Mehr aus einem Gefühl heraus denn aus Überlegung befreite sie sich mit einer geschmeidigen Drehung, schrie und schlug auf ihn ein. Er packte sie erneut. Wütend trat sie nach ihm und biss ihn in den Arm. Sie bekam einen Handschuh zu
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