Die Gauklerin von Kaltenberg
dann runzelte er die Stirn. »Der Bursche ist eine harte Nuss, aber noch gebe ich mich nicht ge schlagen!«
»Da bin ich neugierig!« Anna winkelte die Beine an. Die Cotte fiel lang darüber, und sie legte die Arme darum.
Falconet schlug seine Laute an und entlockte ihr einen tief schwingenden Akkord. Es klang geheimnisvoll, und Anna rich tete sich ein wenig auf. Er begann zu singen, doch jetzt leise: »Auf der Waage meines Herzens streiten Zweifel: laszive Begierde und Keuschheit …«
Die Melodie war einfach, wie Anna es liebte. Langsam neigte sie sich nach vorne. Das Fuchsgesicht des Gauklers hatte den gewohnten spöttischen Ausdruck verloren. Es war, als könnte er ihre innersten Gedanken lesen. Unwillkürlich schloss sie die Augen. Sie dachte an die Burgkapelle, wo sie aus Angst, für ihre verbotene Leidenschaft bestraft zu werden, auf Knien die heilige Maria Magdalena anrief. Und dann an das Bärenfell im Rittersaal, in dem nochder wilde Geruch des Waldes hing, wo Ulrich und sie nicht Ritter und Magd waren, sondern Mann und Frau. Dieses Lied beschrieb ihre verborgensten Gefühle, über die sie sich selbst nicht einmal im Klaren gewesen war.
»Aber ich wähle, was ich sehe …« Falconets Stimme wurde leise und nahm sich fast völlig zurück. Reglos, als könnte die kleinste Bewegung diesen Zauber zerstören, hörte sie zu. Die Me lodie war nun so verführerisch, dass sie am liebsten geweint hätte.
»… und beuge den Nacken unter das Joch – das süße, süße Joch …«
Anna schlug die Hand vor die geöffneten Lippen. Die Musik war längst verstummt, als sie endlich die Augen öffnete.
Der Koch wischte sich mit der fettverschmierten Hand verstoh len über Augen und Nase. Dann griff er nach seinem Fleischer messer, säbelte ein Stück von der Haxe ab und warf es dem Gauk ler zu. Falconet fing es mit einer Verbeugung auf. Knirschend biss er in die Fettkruste, während Anna ihn ungläubig anstarrte.
Der helle Lichtstreifen von draußen verdunkelte sich. Sie hatte das Gefühl, jeder könnte Ulrichs besitzergreifende Küsse auf ihrer Haut sehen, als wären es Brandmale. Wie bei etwas Verbotenem überrascht sah sie auf. Im Eingang stand Jutha.
»Wieder einmal beim Spielmann«, bemerkte die Herrin. Wie üblich sprach sie undeutlich, behindert durch die strenge Kinnbinde. Mit hochgezogenen Brauen bemerkte sie die neue Borte am Saum von Annas Cotte: Ulrich hatte sie seiner Geliebten ge schenkt. »Und Zeit, dich wie eine fahrende Musikantin heraus zuputzen, hast du auch. Das Holz ist schon wieder nicht ordent lich geschichtet, und im Palas fehlen Kienspäne. Wenn du hier nicht arbeitest und nur Männer im Kopf hast, kann ich dich auch hinauswerfen.«
Anna hätte einiges darum gegeben, ihr sagen zu dürfen, was sie dachte: Sollte Jutha sie doch für eine Hure halten! Für sie war nur eines Hurerei, nämlich einem Mann zu gehören, ohne ihn zu lie ben.Auch wenn es der eigene Ehemann war. Sie war klug genug, ihre Herrin nicht zu reizen, aber gängeln lassen würde sie sich auch nicht. Ruhig erwiderte sie: »Ich habe die Äpfel gebracht und den Spielmann nach einer Arznei gefragt. Gertraut hat doch diesen Ausschlag.«
Sie erntete einen dankbaren Blick von Falconet. Wie gerufen kam Gertraut mit Trockenobst und Eiern herein.
Misstrauisch überzeugte sich Jutha, dass die Haut der Alten wirklich wund war. »Gut, lass den Spielmann das ansehen«, befahl sie. »Und du, komm mit!«, rief sie Anna nach, die mit den Küchen abfällen hinausging. Sie folgte ihr ins Freie. »Ich muss nach den Vorräten sehen, wir bekommen einen Gast. Er steht im Dienst des Grafen von Tirol, da will Ulrich einiges auffahren. Dafür, dass er nur ein kleiner Ministeriale ist, will mein teurer Gemahl hoch hinaus.«
Anna kippte die Abfälle auf den Misthaufen, und sofort began nen die Schweine darin zu wühlen. Wachsam betrachtete sie die Herrin. Es sah Jutha nicht ähnlich, vor einer Magd über ihren Mann zu sprechen, schon gar nicht mit ihr.
Ein unverhohlener Triumph flog über Juthas spitzes Wachtel gesicht. »Ulrich wartet nur darauf, Kaltenberg zu verlassen und nach München zu gehen.« Ihr abfälliger Blick blieb an Annas blo ßen Füßen hängen. »Dann wird hier ein anderer Wind wehen. Ich«, betonte sie spitz, »werde ihn nicht vermissen. Ich nicht.«
6
Anna hatte nie daran gedacht, dass Ulrich Kaltenberg verlassen könnte. Sie hatte die Drohung ihrer Herrin verstanden, und sie machte ihr Angst. Jutha würde sie hinauswerfen,
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