Die Gauklerin von Kaltenberg
auch dorthin gewollt. Vielleicht konnte sie ihn dort finden.
Steffen sprang mit breiten Beinen auf den Steg. Offensichtlich wollte er angeben. Den ganzen Tag schon hatten er und Matthäus sich gegenseitig zu übertrumpfen versucht. Jeder wollte den An führer machen. Auf den algenüberzogenen Brettern glitt er aus, und seine Bundhaube fiel ins Wasser. Mit einem Fluch wollte er sie herausfischen, doch zu spät: Ein Strudel hatte sie erfasst und zog sie in die Tiefe. Annas Mund wurde trocken.
»Stimmt es, dass sie dich ertränken wollten?«, fragte das kleine Mädchen. Anna schluckte, aber sie wurde das Gefühl nicht los.
»Wenn du eine Hexe wärst, hättest du davonfliegen können, oder?«
»Halt den Mund, Resi!«, fuhr Eva dazwischen. Matthäus hatte dem Jungen zugenickt und schob ihn vor sich auf die Planken. Der Steg schwankte, als sie sich langsam auf allen vieren hinüberbe wegten.Anna verkrampfte die Hände ineinander, als das Kind auf dem nassen Holz rutschte, doch Matthäus hatte schnell zugegriffen. Erleichtert sah sie, wie die beiden endlich an Land krochen. Steffen ging als Nächster, dann kam Eva mit ihrer Tochter. Die kleine Resi kletterte sicher wie eine Katze und schien die Abwechslung zu genießen. Falconet stieß Anna an. Doch sie schüttelte mit zusammengepressten Lippen den Kopf und bedeutete ihm voranzugehen.
Er hatte etwas über die Hälfte zurückgelegt, als ein Windstoß seinen Mantel blähte. Der Gaukler zuckte zusammen und rutschte ab.
Klatschend fiel er ins Wasser. Eine Sturmbö übertönte das Ge räusch, es ging so schnell, dass er nicht einmal hatte schreien kön nen. Trotz der scheinbar ruhigen Oberfläche war die Strömung stark, und er musste alle Kraft aufwenden, um sich an den Planken festzuhalten. Die anderen drüben hatten noch nichts bemerkt, Eva war damit beschäftigt, ihren Sohn abzutrocknen, Matthäus leerte das Wasser aus seinen Schuhen, und Steffen nahm einen Schluck aus der Flasche an seinem Gürtel.
Der Gedanke an die schrecklichen Augenblicke, als der Lech sie mitriss, war so stark, dass Anna am liebsten davongelaufen wäre. Mühsam überwand sie sich, Falconet zu helfen. Sie ließ sich auf die Knie sinken und kämpfte sich Zoll für Zoll vorwärts. Das Holz unter ihren Händen war kalt und glitschig, ihre zitternden Hände konnten es kaum halten. Eine eisige Welle lief über ihre Finger. Annas Herz raste. Sie rief nach den andern, aber sie wagte nicht aufzusehen.
Vorsichtig legte sie sich flach auf den Steg. Mit einer Hand klam merte sie sich an die Planken, die andere streckte sie aus. Sie hörte Falconet vor Angst und Anstrengung keuchen, als er danach griff. Ihre nassen Finger klammerten sich so fest in das fasrige Holz, dass sie sie kaum noch spürte. Mit aller Kraft bemühte sie sich, dem Zug standzuhalten.
»Haltihn noch einen Augenblick!«, schrie Matthäus. Er hatte sie bemerkt und kroch auf allen vieren langsam heran.
Anna spürte die Bewegung, als er den Gaukler wie eine Katze am Kragen packte. Dann kam Falconet dumpf neben ihr auf den Steg zu hocken wie eine gebadete Maus. Vom Ufer her hörten sie die anderen erleichtert johlen. Die durchnässten Kleider klebten an seinem hageren Körper. Er zitterte am ganzen Leib, und sein Fuchsgesicht war blass. Nur sein Witz schien unversehrt.
»Sei froh, dass dir das nicht passiert ist«, japste er. »Du hast nur ein Kleid, und Steffen hätte darauf bestanden, dass du es aus ziehst.«
Anna war so erleichtert, dass sie haltlos zu kichern begann. »Ich hätte dich ersaufen lassen sollen«, stieß sie hervor. »Ulrich hatte recht, du hast ein ungewaschenes Maul!«
Es dauerte eine Weile, bis sie sich halbwegs am Feuer getrock net hatten. Mit noch klammen Kleidern gingen sie weiter entlang der Ufermoore des langgezogenen Ammersees. Das Schilf ra schelte, und die Kinder tuschelten etwas von Dämonen. Ein Seuf zen zitterte in der Luft.
Anna zuckte zusammen. Noch nie hatte sie etwas Ähnliches ge hört. Selbst Steffen umfasste seinen Stock fester. Der unheimliche Laut schwoll leicht an, dann erstarb er.
»Wind im Röhricht«, lachte Falconet und wies auf das Schilf. »Sorgt euch lieber um die natürlichen Gefahren. Davon gibt es ge nug.«
Sie folgten den Mooren auf dem Ostufer nach Süden. Anna war zwar früher ab und zu nach Landsberg gelaufen, aber die Gaukler gingen schnell, und ihre Beine wurden allmählich schwer. Bei je dem Schritt zog es in den Knien. Ihre Kleider waren feuchtkalt und stanken erbärmlich. Wie
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