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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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Wieder musste sie an ihre Mutter denken. Sie hätte ihre Tochter lieber tot gewusst als in diesem Leben.
    »Es war mutig, mit dem Stock auf das Vieh loszugehen«, sagte Eva unvermittelt, als sie nebeneinander im Dunkeln lagen. »Tut mir leid, dass ich so unfreundlich war. Aber vor ein paar Jah ren ist mir ein Kind verhungert. Das will ich nicht noch einmal er leben.«
    Anna richtete sich auf. Sie wollte etwas sagen, aber Eva winkte ab, als bereue sie, überhaupt davon gesprochen zu haben.
    »Woher solltest du es wissen. Mach dir nichts aus Steffen, wollte ich dir sagen. Es gibt viel Schlimmere als ihn. Du musst nur eine Sprache benutzen, die sie verstehen. Eins aufs Maul, dann wissen sie Bescheid. Mach bloß nicht den Fehler, freundlich zu sein.«
    Anna bejahte, und die Gauklerin richtete sich neugierig ein wenigauf. »Es geht mich ja nichts an, aber warum bist du vor dem schwarzen Ritter geflohen?«
    Anna erwiderte nichts. »Auch eine Höllenotter ist schön!«, sagte sie endlich kurz.
    Eva stutzte, dann lachte sie. »Habe ich nach seinem Aussehen gefragt?«
    »Ich hasse ihn!«, entgegnete Anna lauter, als sie es gewollt hatte. »Er ist böse und gewissenlos wie ein Werwolf.«
    »Das sind doch alle Männer«, winkte Eva ab. Sie rollte sich wie der in ihre Decke, und Anna spürte, wie sie sich mit dem Hinter teil Platz verschaffte. Raoul war gefährlich, dachte sie, wenn auch nicht in dem Sinne, wie Eva zu glauben schien. Einen Moment lang hatte er sie vergessen lassen, wer er war. Nie wieder durfte sie sich blenden lassen.
    »Ich glaube«, lachte Eva neben ihr unterdrückt, »dass dich dein gutaussehender, gewissenloser Feind mehr durcheinanderbringt, als dir lieb ist. Und was ihn betrifft, wollte er dich jedenfalls unbe dingt wiederhaben.«

6
    »Sie kommen! «
    Aufgeregt rannte ein Junge zur Stadtmauer herab, hinter der die Dächer und Türme von Landsberg aufragten. Er keuchte, als ihm kalter Rauch in die Lunge stieg, dann zeigte er die Straße hin auf. »Ich habe die Rüstung des Königs blitzen sehen!«
    Die Landsberger Stadtsoldaten richteten ihre Spieße gerade. Ratsherren, Bürger und Ministerialen, die sich auf dem Hauptplatz hinter dem qualmgeschwärzten Schmalztor drängten, reckten die Köpfe. Selbst die Bettler am Straßenrand wirkten erbarmungswür diger denn je, dank der Wunden, die sie sich beim Kampf um die besten Plätze zugezogen hatten. In gebührendem Abstand nah men die Aussätzigen vom Klösterl Aufstellung. Der König wolle die Stadt belohnen, hieß es – für den Widerstand, den sie Friedrich dem Schönen geleistet hatte.
    Und nur der König konnte auch den Makel seiner Geburt tilgen, dachte Raoul. Dann würde er endlich auch dem Namen nach sein, was er vorgab: ein Ritter. Gefolgt von Maimun bahnte sich der Rappe den Weg durch die Menge. Verstohlene Blicke unter weißen Hauben trafen das von schwarzen Locken gerahmte Profil des Reiters. In den letzten Monaten war es ihm gleichgültig gewesen, welchen Eindruck er auf die Frauen machte. Jetzt musste er an Annas trotzig aufgeworfene Lippen denken, an die Blätter, die sich in ihrem Haar verfingen. Es war töricht gewesen, sie zu küssen, warf er sich zornig vor. Am meisten ärgerte ihn, dass er selbst nicht wusste, warum er es getan hatte. Schließlich war er kein verliebter fünfzehnjähriger Knappe, sondern ein Mann mit einem Ziel, gegenüber dem eine Frau nicht viel bedeutete. Mit etwasGlück würde er sich endlich selbst wieder in die Augen sehen können.
    »Ein Liebeszauber, Herr?«, riss ihn ein Quacksalber aus seinen Gedanken. Angewidert sah Raoul an den Amuletten aus Hunds pfoten herab. Der Mann verstand das offenbar als Interesse und hob eine Latte, von der Rattenschwänze und Lederbeutel mit son derbar riechendem Inhalt hingen. »Um die Dame Eurer Wahl zu erobern?«
    »Sehe ich aus, als hätte ich dazu tote Ratten nötig?«, fuhr Raoul ihn an. Mit schadenfroher Rücksichtslosigkeit ließ er seinen Rap pen steigen, und der Quacksalber musste sich hastig ducken, um nicht niedergetrampelt zu werden.
    Raoul brachte das Tier in einem Halbkreis wieder zu Boden und sah sich unruhig um. Für den hohen Besuch waren die Abwas serrinnen der Hauptstraße gereinigt worden. Trotzdem hing der Geruch nach Urin und Kohl in der Luft. Der Platz war hoffnungs los überfüllt, kein Wunder, dass die Beutelschneider ihr Handwerk fast ungestört verrichten konnten. Die Büttel hatten alle Hände voll zu tun mit einem aufrührerischen Franziskaner und denen,

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