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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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kleine Messer auf und entfernte sich lautlos vom Lager. Dann begann sie zu rennen.
    Dornensträucher zerrten an ihrer Cotte, unter den groben Schuhen spürte sie Wurzeln. Der faulige Geruch des Spätherbs tes hing in der Luft – taudurchnässte Blätter, giftige Pilze und von Eichhörnchen angefressene Eicheln und Bucheckern. Irgendwo heulte ein Wolf. Sie schlug die Richtung nach Burg Geltendorf ein, die nur wenige Meilen von Kaltenberg entfernt lag.
    Mit brennender Lunge hetzte Anna durch den Wald. Der Föhn war zu einem Sturm geworden und fegte ihr die Haare ins Gesicht. Sie sah kaum die Hand vor Augen, stieß gegen Stämme und ritzte sich die Hände an der rauen Borke. Mit einem Schrei stolperte sie über eine Wurzel, schlug ins raschelnde Laub und blieb keuchend liegen. Sie hatte ihre Kräfte überschätzt, aber sie wollte nicht auf geben. Mühsam raffte sie sich auf und lief weiter. Licht schimmerte vor ihr durch die Bäume. Der Wind fuhr unter ihre schweißfeuch ten Kleider, und frierend schlug sie die Arme vor die Brust.
    Schattenhaftmachte sie die Umrisse einer Scheune oder eines Stalles am Waldrand aus. Ein Feuer brannte, auf aufgeschüttetem Stroh und Decken lagen Menschen. Jemand sang – eine Frau. Sie trug ihr Haar offen. Anna fiel die Wäsche auf, die zwischen den Bäumen aufgehängt war: rot oder bunt. Keine anständige Bauers frau hätte so etwas angezogen, dachte sie erschrocken. Ihr fielen die Gerüchte ein, die man sich über das fahrende Volk erzählte: sittenlose Lüsternheit sagte man ihm nach, Diebereien. Verzwei felt rief sie die heilige Afra an.
    Ein Mann trat in den Feuerschein und warf etwas in die Glut. Sie erkannte braunes, kurzgeschorenes Haar. Das Feuer warf sein flackerndes Licht auf sein Fuchsgesicht, und Anna stieß einen Stoßseufzer aus. Halblaut rief sie ihn beim Namen: »Falconet?«
    Überrascht richtete er sich auf. Die Frau lief zu ihren schlafen den Kindern, und ein kräftiger Mann kam heran: ein bärtiger Ge selle, der sich sofort einen Stock griff.
    Falconet legte dem Bärtigen die Hand auf den Arm, und der senkte den Stock. »Anna?«, rief er. »Komm, du brauchst keine Furcht zu haben!«
    Anna war sich dessen keineswegs sicher. Doch sie hatte keine Wahl.

4
    Als der Morgen anbrach, lockte der Laienbruder Bertram leise pfeifend seine Schafe. Er ahnte nichts von dem schwarzen Ritter, über den sich die Dörfler unheimliche Geschichten erzählten. In den Jahren, die er nun schon mit den Tieren lebte, hatte er diese Stunde kurz vor Sonnenaufgang lieben gelernt. In einiger Entfer nung konnte Bertram den Turm von Kaltenberg erkennen, und hinter ihm schälten sich die Mauern der Burg Geltendorf aus dem Dunst. Die einsame Fackel am Turm bewies, dass der Vogt auf sei nem Posten war. Später würde Bertram die gewundene Straße zur Kirche hinaufgehen. Wie üblich würde er auf halber Strecke einen Morgentrunk beim Bauern Xaver nehmen, denn er war nicht mehr der Jüngste, und der Weg war steil. Jetzt war der bewaldete Vogel berg sein Ziel, der vor ihm aus dem Zwielicht ragte. Wo sich sonst die Haselzweige unter der Last der Nüsse beugten, hatten hung rige Dorfbewohner längst alles Essbare abgeerntet.
    Verwundert beobachtete Bertram, wie sich seine Tiere blökend zusammendrängten. Auch der zottige schwarze Hirtenhund konnte sie nicht zum Gehen bewegen. Der Bruder umklammerte seinen Stock fester. Aus kurzsichtigen Augen schielte er den Pfad entlang zum Wegkreuz. Dort lag etwas.
    Der Mönch bekreuzigte sich. Er hatte eine heilige Scheu vor der Stelle, wo sich zwei Straßen trafen. Nicht umsonst galten diese Orte als Tummelplatz böser Geister. Gebete murmelnd wagte er sich näher.
    »Bruder Bertram! Wir haben auf Euch gewartet!«
    Der Mönch dankte Gott, als er den Gaukler Falconet erkannte. Zusammengesunken im Halbschlaf hatte er ausgesehen wie ein Kobold.Jetzt stieß er das Mädchen an, das neben ihm kauerte. »Das ist Anna aus Kaltenberg«, stellte Falconet sie vor. »Sie bittet Euch um Hilfe.«
    Wohlwollender musterte Bertram die Gestalt, die unter viel zu großen dunklen Männerkleidern kaum zu erkennen war. Ein hal bes Kind noch, müde und verzweifelt, wie die Schatten unter ih ren blauen Augen bewiesen. Das Haar war notdürftig geflochten, sie hatte alles vermieden, was an die losen Sitten der Gauklerin nen erinnerte. Ein Christenkind, das seine Hilfe brauchte. »Was kann ich für dich tun?«
    »Ich bitte Euch, eine Botschaft zu überbringen«, erwiderte das Mädchen. Obwohl

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