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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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sich von ihm nichts sagen lassen. Keine der beiden Möglichkeiten beruhigte Anna besonders. Der Gaukler trieb sie weiter, um Andechs zu erreichen, ehe die Sonne sank. Mit dem ersten Schnee würden Wölfe um die Scheunen streichen, in denen sie sonst schliefen, und dort gab es eine gute Herberge. Es ging den steilen Höhenzug hinauf, der sich entlang des Ufers nach Süden zog. Immer wieder beobachtete Anna Stef fen heimlich. Wusste er wirklich etwas über das Lied, das sie in Ge fahr gebracht hatte? Oder versuchte er nur, sie auf den Rücken zu legen? Es dämmerte, und die Gespräche verstummten. Ein Heu len zerriss die Stille.
    Die Gaukler sahen sich an. Über ihnen schwankten die Zweige. Der Wald schien zu atmen. Ein weiterer Wolf stimmte ein.
    »So nah waren sie noch nie«, sagte Eva. Ihr hübsches rundes Gesicht wirkte beunruhigt. Falconet stützte Steffen, und so schnell es ging hasteten sie weiter die Straße entlang.
    »Die Kirche muss längst geschlossen sein!«, flüsterte Evas Sohn Korbinian verängstigt. Immer mehr Wölfe mischten sich nun in den unheimlichen Chor. Und der steinige Pfad nahm kein Ende.
    »Wir müssen es zur Herberge schaffen«, keuchte Eva. Sie griff Steffen auf der anderen Seite unter die Arme. Das Gewicht des Goliarden musste beträchtlich sein. Ein Schatten huschte hinter ihnen über den Weg.
    »Ein Wolf!«, stöhnte Steffen. Humpelnd hopste er, auf Eva und Falconetgestützt, weiter. Sein Gesicht verzerrte sich bei jedem Schritt. »Sie greifen nicht an, solange sie allein sind. Wölfe jagen im Rudel«, flüsterte er beschwörend vor sich hin.
    Seitlich von ihnen huschte ein weiterer Schatten heran.
    »Zum Teufel, das ist ein Rudel«, zischte Anna. In Kaltenberg waren die Tiere immer wieder in die Ställe eingebrochen. Sie er innerte sich gut an den Schäferjungen, den sie eines Morgens zer fleischt im Stall des Herrenhofs gefunden hatten. Den Anblick der zerfetzten Kehle und die starren, aufgerissenen Augen würde sie nie vergessen. Die Angst jagte ihr glühende Schauer über den Rü cken, und den anderen schien es nicht besser zu gehen. Stumm hetzten die Kinder weiter. Sie sah über die Schulter zurück und er starrte.
    Ein riesiger grauer Wolf stand hinter ihnen auf dem Weg, der wilde Geruch wehte zu ihnen herüber. Das Tier kräuselte die Oberlippe und die Schnauze und entblößte messerscharfe Zähne.
    Die Kinder drängten sich aneinander. Anna riss Steffen den Knotenstock aus der Hand, und der Wolf knurrte.
    »Da vorn brennt Licht!«, rief Eva. Vor ihnen begann das freie Feld, das nach Andechs führte. Anna erkannte eine Kirche und mehrere Wirtschaftsgebäude. Ein Haus mit zwei Nebengebäuden erhob sich etwas abseits des Wegs am Waldrand. Im Dunkeln wäre es kaum zu erkennen gewesen, doch aus einem verrammelten Fenster fiel ein Lichtstreifen.
    »Die Herberge«, stöhnte Falconet erleichtert. Er ging voraus, trommelte gegen die Tür und brüllte, so laut er konnte.
    Licht fiel auf den gestampften Boden, die Pforte öffnete sich. Ein breiter Mann mit einer Fackel stand im Eingang. In der anderen Hand hatte er einen Dolch. Er rief etwas über die Schulter, und zwei kräftige Knechte brachten Steffen ins Haus. Die Fackel warf ihre zitternden Schatten an die Wand, erleichtert erreichten sie die festen Wände. Endlich schlug die Tür hinter ihnen zu.
    Der Duft von warmem Apfelmus mit Zwiebeln ließ Anna das Wasserim Mund zusammenlaufen. Den ganzen Tag hatte sie nichts gegessen, sie war zu Tode erschöpft und entsetzlich hungrig. Sie löffelte das Essen so hastig, als fürchte sie, es wäre für lange Zeit das letzte.
    Mit Eva und den Kindern wurde sie in einen fensterlosen Ver schlag im Erdgeschoss gebracht, die Männer bekamen einen an deren Raum. »Und die Kleider ausziehen, bevor ihr schlafen geht!«, befahl der Wirt, als er schon in der Tür stand. »Nicht dass ich nachher die Betten voller Läuse habe! Wer stiehlt, den setze ich vor die Tür.«
    Der Geruch getragener Kleider hing in der Luft, und nicht jeder der vorherigen Gäste hatte es offenbar nachts auf die Latrine geschafft. Anna hatte sich auf ein Bad gefreut, aber eine Badestube gab es nicht. Ihre Füße schmerzten, und ächzend zog sie die Schuhe aus, um ihre kalten Zehen zu reiben. Wehmütig dachte sie an ihren sauberen Strohsack auf der Burg. Wenn Falconet diese Spelunke eine gute Herberge nannte, wollte sie nicht wis sen, was eine schlechte war. Aber dass sie überhaupt im Warmen schlafen durfte, verdankte sie nur ihm.

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