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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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ihre Stimme zitterte, hörte man, dass sie klang voll war. »An Herrn Ulrich von Rohrbach.«
    Nachdem Anna den Bruder zur Burg geschickt hatte, fühlte sie sich etwas besser. Sie hatte getan, was sie konnte: Durch ihren Bo ten würde Ulrich erfahren, wer Raoul war und was er plante. Jetzt konnte sie an sich denken. Obwohl die Gaukler ihr einen Platz im Stall überlassen hatten, fühlte sie sich wie gerädert. Ihre Prellun gen schmerzten, ihr Haar war verfilzt und ungewaschen. Außer dem hatte sie fast nicht geschlafen, weil die Frau mit ihrem Gefähr ten die halbe Nacht schamlos gelacht und gestöhnt hatte. Anna hoffte nur, dass Ulrich sie so schnell wie möglich nach Kaltenberg zurückholen würde.
    »Ich fürchte, das kann er nicht«, meinte Falconet ungewohnt ernst, als sie es aussprach. »Wenn er dir hilft, werden die Leute erst recht glauben, dass du ihn verhext hast.«
    Wieder wurde Anna klar, wie wenig sie darauf vorbereitet war, auf sich allein gestellt zu sein. Der alte Seyfrid hätte sie mit dem Wasser aus der Ulrichsquelle in Eresing besprengt, wie es die Leute seit jeher taten. Vielleicht war das nicht das Schlechteste, dachte Anna. Eresing war nicht weit, und sie hatte Trost und Schutz nötiger denn je.
    EineLinde breitete ihre Arme über die winzige Kapelle am Waldrand. Beerendolden von Holunderbüschen färbten die Mau ern mit ihrem blutroten klebrigen Saft. Wie sie es von Kindheit an gewohnt war, nickte sie den Geistern zu, die der Legende nach in den Sträuchern wohnten. Dann warf sie sich vor dem Gnadenbild nieder.
    Auf dem kalten Stein fror sie erbärmlich, und vom bedeckten Himmel fiel kaum Licht durch die Pfeiler. Anna kämpfte gegen das trockene Schluchzen an, das in ihrer Kehle aufstieg. Falconet hatte recht, Ulrich konnte ihr nicht helfen. An wen sie sich auch wandte, sie brachte ihn in Gefahr – die Anklage der Hexerei war eine töd liche Waffe. Sie wünschte, sie hätte Martin fragen können, was sie tun sollte. Seine ruhige Art hatte ihr das Gefühl gegeben, dass es immer Hoffnung gab. Aber sosehr sie sich auch das Hirn zermar terte, sie fand keinen Ausweg. Ein Mann, der auf der Straße lebte, konnte eine reiche Witwe suchen, die ihn heiratete, oder als Spiel mann einen Beschützer finden. Eine fahrende Frau war nicht viel besser als eine Hure.
    Ein eisiger Luftzug strich über ihren Nacken, ihre Finger waren klamm. Ihr Stolz hatte sie so weit gebracht, warf sie sich vor. Noch vor wenigen Tagen war sie die ehrbare Tochter eines Schmieds ge wesen. Hätte sie nicht von dem Burgherrn geträumt, wäre sie noch in Kaltenberg. Aber jetzt würde Raoul sie töten, es war ein Wun der, dass er es nicht längst getan hatte. Straßenräuber konnten sie misshandeln und zum Sterben liegen lassen. Der Winter würde die Wölfe wieder nah an die Dörfer treiben. Selbst wenn sie den Tieren entkam, allein auf der Straße würde sie in wenigen Tagen verhungern oder erfrieren. Sie musste zurück, oder sie würde den kurzen Rest ihres Lebens bei den Gauklern verbringen.
    Hilfesuchend sah sie zu dem Gnadenbild auf. Der huldvoll lächelnde Heilige hatte wenig mit dem Ulrich gemeinsam, den sie liebte. Je länger sie auf der Burg gewesen war, desto besser hatte sie ihn zu kennen geglaubt. Niemals würde sie ihn aufgeben! UlrichsVater würde sie wirklich töten müssen, wenn er sie von ihrem Geliebten trennen wollte. Ketzerei! Es war lächerlich, die ses Lied … Anna dachte nach. Raoul musste ihr mit seinem Opium den Kopf vernebelt haben! Warum war sie nicht gleich dar auf gekommen? Wenn das Lied, das sie gesungen hatte, ketzerisch war, müsste Falconet das doch wissen. Schließlich hatte er es ihr beigebracht. Sie würde ihm einiges zu sagen haben!, dachte sie zornig. Das Mindeste, was er ihr schuldig war, war, ihre Un schuld zu beweisen.
    Anna atmete auf. Es war nur ein Hoffnungsschimmer, aber sie fühlte sich besser. Sorgfältig füllte sie ihre tönerne Kanne mit dem heiligen Wasser und wischte sie mit einem Zipfel ihrer Cotte ab. Als sie sich aufrichtete, bemerkte sie eine Bewegung auf der Straße. Unwillkürlich drückte sie sich hinter einen Pfeiler und blieb abwartend stehen. Der Holunder machte sie beinahe unsichtbar.
    Ein Reiter näherte sich. Annas Finger klammerten sich fester um das heilige Wasser, als sie ihn erkannte.
    Raoul zügelte sein Pferd mitten auf der Wiese. Die schwarzen Augen schweiften über den Wald zur Kapelle. Wind fuhr durch sein dunkles Haar, die Hände in den Lederhandschuhen lagen

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