Die Gauklerin von Kaltenberg
die sich im Wirtshaus in Stimmung gebracht hatten. Handkarren oder gar größere Wagen wurden heute gar nicht erst eingelassen. Son derbar, dass Ulrich nirgends zu sehen war, dachte Raoul, während sein schwerer Lederhandschuh das tänzelnde Pferd kaum merk lich zügelte. Er war froh darüber. Wenn mit seinem Bruder auch ein Rivale um das gemeinsame Erbe auftauchte, würde Ulrich Ra ouls Anspruch zu hintertreiben versuchen.
Die Trommeln begannen zu wirbeln. »Platz da! Aus dem Weg!«, schrie ein Herold in weißblauer Rautentunika.
Ein Laut der Bewunderung war zu hören, als der König mit seinem Gefolge aus dem Torbogen ritt. Alles kam nun darauf an, dass er ihn richtig einschätzte, dachte Raoul. Ludwig war etwa Mitte dreißig. Sein rötlich blondes Haar war nicht besonders dicht, doch er trug es lang auf die Schultern fallend, nur von einem Metallband, demSchapel, gehalten. Groß und sichtlich in den Waffen geübt, fielen seine beweglichen Augen und die spitze Nase auf. Über ihm flatterten die weißblauen Banner des Hauses Wittelsbach. Kühn, aber unbesonnen und nicht besonders ausdauernd – das mochte stimmen. Die hochfahrende Haltung seines Rivalen Friedrich und dessen Grausamkeit konnte Raoul in diesem Gesicht jedenfalls nicht entdecken.
Die Herolde konnten die Neugierigen kaum zurückhalten. Der Bürgermeister hatte die Zügel des königlichen Pferdes ergriffen und führte es langsam zu der Estrade, die man auf dem Markt aufgestellt hatte. Der Wind blähte die weißblauen Waffenröcke der Knappen, dann folgten einige Ministerialen, die Falkner und Reitknechte. Die Königin war nicht dabei, es hieß, sie liege im Wochenbett. Aber ein älterer Mann mit schulterlangen grauen Locken fiel Raoul auf. Über der Rüstung trug er ein weißes Or denshemd mit einem schwarzen Kreuz – die Tracht des Deut schen Ordens. Büttel hielten den Weg frei, als Ludwig von Baiern die Stufen emporstieg. Der Ordensritter reichte ihm einen Perga mentbogen.
Etwas an dem Mann erregte Raouls Neugierde. Das Leben hatte sichtbare Spuren in die scharfen Züge des Deutschherrn ge graben. Die würdevolle Gestalt wirkte ernst, aber nicht gebro chen. Raoul beugte sich aus dem Sattel und stieß einen Bürger an. »Wer ist das?«
Beflissen und mit der üblichen Scheu erwiderte der Mann: »König Ludwig tut viel für den Deutschen Orden. Man sieht die Herren oft in seinem Gefolge, aber diesen kenne ich nicht.«
Während der Herold um Ruhe brüllte, ging der König auf und ab, als fiele es ihm schwer, ruhig zu stehen. »Der Habsburger ist abgezogen«, begann er, als die Leute sich beruhigt hatten. Jubel unterbrach ihn, und mit einer Geste verschaffte er sich Gehör. »Ihr habt doch nichts anderes erwartet?«, fragte er leutselig. Die Men schen lachten, und die Herzen flogen dem König zu.
»Wegendes tapferen Widerstandes, den die Stadt Landsberg geleistet hat, haben Wir beschlossen, beim Wiederaufbau zu hel fen«, begann der König von neuem. Wieder unterbrach ihn Jubel.
»Wir …«, er musste warten, bis Zischen und Rufe die Leute zum Schweigen brachten. Er hob die Urkunde mit dem schweren königlichen Siegel, das weithin sichtbar war. Auf einmal wurde es still. Selbst Raoul wartete angespannt.
» Wir, Ludwig, von Gottes Gnaden römischer König, zu allen Zeiten Wehrer des Reiches tun kund allen denjenigen, die diesen Brief ansehend oder hörend lesen« , verlas der König selbst, » Dass Wir Unseren lieben Getreuen von Landsberg die besondere Gnade getan haben: Dass Wir ihnen verleihen mit wohlbedachtem Sinn das Ungeld in der Stadt zu Landsberg, und den Wagenpfennig, den man nimmt an dem Lechtor …«
Jubelrufe machten es unmöglich weiterzulesen. Die Steuern auf Lebensmittel, die in der Stadt erzeugt oder durch sie transportiert wurden, sowie auf durchfahrende Wagen und Vieh würden die leeren Säckel füllen. Ungeduldig trommelte Raoul mit den Fingern auf den Sattel. Immer wieder sah er sich über die Schulter um, aber was er befürchtet hatte, blieb aus. Niemand war hier, der ihn kann te und seinen Plan noch verhindern würde. Der Herold sorgte für Ruhe.
»… Und dass sie desto besser wieder bauen, befestigen und auch be schirmen mögen diese Stadt, wo es Nutz und Not wird. Wir tun ihnen auch die besondere Gnade und verleihen ihnen ewiglich alle die Rechte, die Unsere Stadt von München seither von Unseren Vorfahren selig, von Uns und Unserem Bruder Herzog Rudolf gehabt …«
Erneuter Jubel unterbrach ihn. Dieselben Stadtrechte
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