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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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    Sie hatte tatsächlich eine schöne Stimme – hell, aber klangvoll und warm. Beatrix hörte jemanden flüsternd übersetzen: » Auf der Waage meines Herzens streiten laszive Begierde und Scham …«
    »Was ist laszive Begierde?«, wollte der Page wissen. »Ist es das, was die Hunde …« Zischend unterbrach ihn jemand. Die Ober magdgab ihm einen Klaps, und ihr langes Jagdhundgesicht zuckte beunruhigt. Schützend stellte sich die Kindsmagd vor die kleine Prinzessin.
    Die Stimme klang bewegt, dachte die Königin. Das Mädchen war schmutzig und roch, doch ihre Augen glänzten. Sie wusste, wovon sie sang. Beatrix konnte nicht sagen, dass sie selbst es mit Ludwig schlecht getroffen hatte. Aber sie fragte sich, ob sie selbst je erfahren würde, was es bedeutete, sich nach einem Mann zu seh nen, um sein Leben zu fürchten, wenn er auf Reisen oder im Krieg war, und atemlos vor Erregung auf seine Heimkehr zu warten.
    Sie wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen, als der Blonde die Sängerin schamlos vor aller Augen in den Hintern zwickte. Ab rupt hörte das Mädchen auf. Sie verpasste ihm eine zweite Ohr feige und lief hinter die aus gespannten Tüchern gebildete Bar riere. Der Gaukler folgte ihr.
    Verblüfft richteten sich die Damen in ihren Stühlen auf. Hinter den Tüchern schrie jemand wütend. Eine Bundhaube flog, etwas stieß gegen den Vorhang, dann stolperte der Blonde heraus. Schnaubend wie ein Racheengel kam das Mädchen hinterher und schlug auf ihn ein.
    »Du Pfaffenbankert, du dreckiger!«, schrie sie ihn an und ver setzte ihm eine Ohrfeige. Jemand packte sie und hielt sie fest, sie befreite sich und schlug auf den Vaganten ein, der sich unter dem unerwarteten Hagel duckte. Wütend warf sie die wilden Locken zurück, trat ihn in den Hintern und wollte ihn an den Haaren wie der hochziehen.
    Das Gesinde brüllte vor Lachen. Die Königin verbarg ihr Gesicht hinter ihrem Fächer, aber sie konnte das Lachen nicht zurückhalten. Von Kindheit an hatte man sie zu höfischem Benehmen erzogen. Die einfachen Leute seien nicht viel besser als Tiere, hatte man ihr eingeschärft. Aber vielleicht, dachte sie und musste noch mehr lachen, wäre alles besser, wenn sie auf ihren Mann manchmal genauso einschlagen dürfte wie dieses Mädchen auf denblonden Riesen. Nach den Wochen der Einsamkeit fühlte sie sich befreit.
    Der Anführer begriff schnell. Er sprang in die Mitte und dekla mierte: »Und so endet die Geschichte von der tugendsamen Schä ferin und dem Ritter! Lasst es euch eine Lehre sein: Wenn rohe Gewalt und Tugend eine Lanze brechen, könnt ihr getrost auf die Tugend wetten!«
    Ein schwarzweißer Racheengel fegte plötzlich herein. Pater Felix, Beatrix’ Beichtvater, hatte offenbar seine knochige Nase wieder einmal ungefragt in die Kemenate gesteckt. »Das ist Un zucht!«, keifte er.
    Zur gleichen Zeit redete der Deutschherr im Rittersaal auf König Ludwig ein: »Einigt Euch mit dem Bischof von Freising, auch wenn er sich seine Unterstützung etwas kosten lässt. Euer Bruder Rudolf ist nach Worms gegangen, er hat Euch verlassen. Ihr braucht Verbündete.«
    »Ich bringe ihn um!«, knirschte Ludwig. Im selben Moment musste er sich eingestehen, dass Rudolf kaum ernstlich in Gefahr war. Ebenso wie er seinen älteren Bruder hasste, liebte er ihn auch.
    Erschöpft von der stundenlangen Beratung ließ er sich in seinen Scherenstuhl fallen. Als Kind hatte er Rudolf bewundert. Groß, schlank und blond war er gewesen, und besonnen, eine Eigenschaft, die ihm selbst gänzlich fehlte. Vor Jahren hatte der Ältere auch die Hand nach der Krone ausgestreckt. Vermutlich war er Ludwig deshalb bei der Königswahl in den Rücken gefallen: Als Pfalzgraf bei Rhein und Kurfürst hatte er seinem Bruder die Stimme verweigert. Ludwig konnte verstehen, dass es einem Ritter wie ihm schwerfiel, einem Jüngeren zu huldigen. Trotzdem brachte es ihn zur Weißglut. Er dachte an Rudolfs verletzende Worte im vergangenen Sommer. Ich hätte nicht so die Beherrschung verlieren dürfen, dachte er. Mit dem Schwert war er auf denÄlteren losgegangen, die Münchner Bürger hatten ihn gewaltsam zurückhalten müssen. Danach war Rudolf geflohen, zuerst nach Wolfratshausen und jetzt nach Worms. Ludwig hatte nicht die geringste Lust, sich mit ihm zu schlagen. Aber wenn er Sicherheit und Frieden wiederherstellen und die Angreifer von außen bekämpfen sollte, musste er sich auf seinen Bruder verlassen können.
    Müde schweifte sein Blick durch den leeren Rittersaal

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