Die Gauklerin von Kaltenberg
während sich Steffen schon mit dem nächsten Vaganten in die Haare geriet. »Denk daran, warum du früher gern zu unsereins gekommen bist. Ein Gaukler gibt den Menschen etwas,das sie in der Kirche nicht bekommen: Freude. Eine Gauklerin kann sie zum Lachen und Weinen bringen.«
Anna sah ihn an. Dasselbe hatte sie damals auch gespürt, als sie das erste Mal gesungen hatte. Musik gab den Menschen etwas, das stark war, sogar stärker als der Glaube. Vielleicht hasste die Kirche sie deshalb so. Wenn das Hexerei war, dann hatte der Kaplan von Haltenberg recht gehabt – dann war sie eine Hexe. Aber sie konnte es nicht bereuen. Es kostete sie viel: alle Sicherheit, die sie je ge habt hatte. Trotzdem, hätte sie noch einmal die Wahl gehabt, sie hätte Ulrich wieder gegen alle Gesetze geliebt.
»Du darfst nur eines nie vergessen«, sagte Falconet auf einmal ungewohnt ernst, »wir sind dazu da, die Leute zu unterhalten. Es ist wie eine Maske, die du nie wieder ablegen kannst. Wenn du dich deinen Gefühlen, deiner Trauer oder deinem Schmerz überlässt, bist du verloren.«
Anna nickte. »Ich muss diesen Spielmann finden, der das Lied geschrieben hat. Steffen weiß etwas«, sagte sie widerwillig.
»Dann finde heraus, was.« Falconet grinste. »Versprechen kannst du ihm alles. Was du ihm gibst, steht auf einem anderen Blatt. – Oder hast du Angst vor ihm?«
Anna sah nach Steffen, der seine eindruckgebietende Gestalt vor seinem Gegner aufgebaut hatte. Dieser riesige Kerl konnte sie zwingen, zu was er wollte. Trotzig sah sie Falconet an. Steffen war vielleicht kräftiger als sie, aber sie war klüger. Sie warf den Kopf zu rück, ging hinüber und zog ihn unter die Palisaden am Tor.
»He, was ist denn in dich gefahren?«, grinste er.
Anna spielte mit seinem fettigen Haar. »Du wolltest doch wis sen, warum ich es nicht mit dem Kaufmann treiben wollte.«
Er stutzte. Sie griff nach seiner Hand und führte sie auf ihre Hüfte. »Ich habe es mir überlegt. Die Nächte sind kalt, und Ulrich muss es ja nicht erfahren. Du hast gesagt, ich würde meinen Spaß haben. Aber nur, wenn du mir sagst, was ich wissen will.«
Er lachte. »Hältst du mich für blöd?«
Annazuckte die Schultern. »Dann eben nicht.«
Sie tat, als wollte sie sich befreien, und spürte, wie er ihren Hin tern knetete. Sein Widerstand brach zusammen. »Wir haben das Lied in Steyr gesungen«, sagte er. »Wenn der Novizenmeister nicht hinsah. Die Burschen sagten, es war einer von uns. Ein Goliarde, ein fahrender Scholar, ein Lotterpfaffe eben. Mehr weiß ich nicht. Aber …«, er zog sie an sich, »… jetzt haben wir genug geredet.«
Obwohl Anna es befürchtet hatte, war sie doch enttäuscht. Er hatte wirklich nur versucht, an ihren Rock zu kommen. Und da von, dachte sie erschrocken, musste sie ihn jetzt schleunigst fern halten. Sie bemerkte eine Rennsau, die grunzend im Abwasserkanal nach Fressbarem gewühlt hatte und auf sie zulief. Das Schwein wog wahrscheinlich mehr als sie selbst. In geheuchelter Leidenschaft zog sie Steffen herum. Er packte ihre Arme und wollte sie küssen. In diesem Augenblick rannte die Sau in ihn hin ein.
Der Goliarde taumelte und flog klatschend in den Abwasser graben. Anna sprang kreischend zurück.
Fluchend rappelte er sich auf. Kot und Küchenabfälle liefen an ihm herab und fielen langsam zu Boden. Er streifte Kohl und Rü benschalen ab und betrachtete seine verschmierten Hände. »Ver dammtes Miststück, der Teufel soll dich holen! Von jetzt an wirst du dir dein Essen in der Gosse zusammenhuren, dafür werde ich sorgen!«
Anna lachte ihn aus. »Es sieht aber so aus, als wäre in der Gosse kein Platz mehr für mich.«
8
»Nein.« Beatrix von Schlesien-Glogau, die Gemahlin Ludwigs von Baiern, schnitt ihrer Hofdame das Wort ab. »Nein, wir hätten den König nicht um Erlaubnis bitten müssen. Ich lasse Gaukler holen, wann ich will.«
Die junge Hofdame murmelte etwas von leichtfertigem Gesin del in ihre Kinnbinde, doch ihre Herrin brachte sie lachend zum Schweigen. Beatrix war mit Mitte zwanzig jung genug, um einen Ehemann nicht ernst zu nehmen, selbst wenn er König des Hei ligen Römischen Reichs war. Sie starb fast vor Langeweile. Sechs Wochen lang war sie nach der Geburt des ersehnten Stammhalters eingesperrt gewesen. Den kleinen Ludwig hatte sie in der Zeit kaum gesehen. Man hatte ihn wie üblich in ein abgedunkeltes Zimmer gelegt, wo er von einer Amme versorgt wurde. Nicht einmal zur Kirche hatte Beatrix gehen dürfen,
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