Die Gauklerin von Kaltenberg
denn eine Wöchnerin galt als unrein, leichte Beute für den Teufel. Ihre Gemächer im gerade er neuerten Kemenatentrakt der Herzogsburg waren von Weihrauch und magischen Salben durchwölkt, dass man kaum atmen konnte. Heute hatte sie mit dem ersten Kirchgang endlich die Aussegnung hinter sich gebracht. Danach hatte sie die Fenster weit öffnen und die Amulette und geweihten Kerzen ihrer Hebammen erleichtert in der Truhe verschwinden lassen. Mit Ende des Kindbetts erwar tete sie auch der erste nächtliche Besuch ihres Gemahls, der ein zige Wermutstropfen.
»Ihr habt zu schnell abgenommen. Ihr solltet Euch schonen«, versuchte es die Dame noch, aber Beatrix winkte sie hinaus.
Die junge Königin strich über den Surcot aus teurem Brokat und die engen geknöpften Ärmel ihrer Seidencotte. Sie war froh, endlichwieder in etwas anderes als das Gewand einer Schwangeren zu passen. Als sie nach dem metallenen Handspiegel griff, musste sie zugeben, dass sie noch sehr blass war. Ihr blondes Haar war mit einem eleganten Schleier bedeckt, aber die Augen matt. Dabei hatte das zweite lebende Kind beinahe sechs Jahre auf sich warten lassen, und sie musste zugeben, dass es nicht an Ludwig lag.
Bei ihrer Hochzeit war sie alles andere als glücklich gewesen. Ihr Vater war ein Verbündeter von Ludwigs Familie, aber das war auch schon alles, was sie verband. Nur einmal war sie stolz gewe sen, seine Frau zu sein: als er seinen hochfahrenden Vetter Fried rich bei einem Flecken namens Gammelsdorf besiegt hatte. Aber dann hatte Ludwig die Gefangenen viel zu billig freigegeben. Bald wurde überall gespottet. Wenngleich ihr Mann ihr jeden Wunsch von den Augen ablas, hatte sie ihm doch zu verstehen gegeben, dass sie sich seiner schämte. Die letzten Monate hatte sie ihn nicht einmal gesehen, ständig war er unterwegs gewesen. Der Mann, dem sie ein Kind geboren hatte, war ihr letztlich immer fremd ge blieben. Sie wollte jetzt nicht mit ihm allein sein. Also hatte sie auf ihre Magd gehört. Die hatte in der Isarvorstadt eine Truppe Gauk ler gesehen und ihrer Herrin begeistert davon berichtet.
Die alte Bertha brachte sie herein. Das rothaarige Mädchen war sehr jung und mager, doch ihr herzförmiges Gesicht einprägsam und hübsch. Sie hatte etwas Wildes, wie eine Elfe aus dem Wald. Vorsichtig berührte sie die kostbare Täfelung und die bunten Wandteppiche mit Jagdszenen bei dem großen Kamin. Beatrix musste daran denken, wie sie selbst zum ersten Mal in der Her zogsburg gewesen war. Die Backsteinmauern, die Bäche und Gra ben, die das riesige Geviert von Stadt und Umgebung abschirm ten, hatten sie überwältigt. München war nicht das unbedeutende Dorf, für das sie es gehalten hatte, und das Haus Wittelsbach wahr haft königswürdig. Obwohl Ludwigs Schatzkammern alles andere als voll waren, war die Festung allerdings eine einzige Baustelle. Überallwurde gehämmert und gemauert. Zum Leidwesen seiner Gemahlin, die nach der Geburt einfach nur schlafen wollte.
Angelockt von der Aussicht auf Unterhaltung, hatte sich das halbe Hofgesinde eingefunden – Damen, kichernde Mägde und Pagen, und ihre Tochter, die kleine Mathilde, die sich über die albernen Scherze der Gaukler ausschüttete vor Lachen.
Das Mädchen konnte noch nicht lange dabei sein, dachte Bea trix mitleidig, als die Rothaarige mehr oder weniger auf die Bühne gestoßen werden musste. Die junge Gauklerin machte eine wü tende Geste nach den anderen und stolperte prompt über die Laute.
Das Gesinde brach in schallendes Gelächter aus. Grinsend hielt der kräftige Blonde sie fest, allerdings nur, um sich eine Ohrfeige einzufangen. Das zarte junge Ding musste sich dazu auf die Zehen spitzen stellen, was die Zuschauer umso mehr belustigte. Eine Dienstmagd klatschte Beifall, und selbst Beatrix ertappte sich bei einem verstohlenen Lachen. Der Bursche sah eher wie ein Krie ger aus, dachte sie. Immer wieder strich er sich übers Kinn, ver mutlich hatte er sich für den Besuch in dem hohen Haus um einen Bart verjüngt. Das, was übrig war, reichte allerdings immer noch, um tugendhafte Nonnen das Fürchten zu lehren.
»Und da stand sie nun, die schöne Jungfer«, deklamierte der Fuchsgesichtige, der seinen Lohn in Gefahr sah. »Zweifelnd zwi schen Ehrbarkeit und den verführerischen Worten des fremden Ritters …«
Jemand zischte dem Mädchen etwas zu, offenbar war das ihr Einsatz. » In trutina mentis dubia fluctuant contraria« , begann sie zu singen, » lascivus amor, et pudicitia
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