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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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waren geöffnet, als hätte er Schwierigkei ten beim Atmen. Als er sie bemerkte, schob er die Kapuze seines abgetragenen Wollumhangs zurück und hob einen Dolch.
    »Ein herrenloser Mann.« Der Schrecken erhitzte Annas durchfrorenen Körper. Die Gaukler umklammerten ihre Messer, die sie immer griffbereit hielten. In diesen Zeiten gab es Räuberbanden, die sie wegen der Lumpen, die sie am Leib trugen, erschlagen würden. Mit einem Fluch raffte der Mann etwas vom Boden auf und verschwandim Gestrüpp. Als sie sich näherten, erkannten sie, worüber er sich gebeugt hatte: Es war die Leiche einer Frau.
    Sie trug das Haar offen wie eine Gauklerin, und sie war nackt. Früher musste sie hübsch gewesen sein, doch jetzt war ihr Gesicht zu einer Fratze verzerrt. Aber das Schlimmste waren die klaffen den Wunden, wo ihr ein schartiges Messer beide Brüste abge schnitten hatte.
    Anna schrie auf und klammerte sich an Falconet. Aufschluch zend barg sie das Gesicht in seinem löchrigen Mantel, um wieder entsetzt auf das scheußliche Bild zu starren. Eva hatte ihre Kinder an sich gezogen und hielt ihnen die Hände vor die Augen.
    »Sie ist noch nicht lange tot.« Falconet sah sich besorgt um. »Man hat sie geschändet, vermutlich ist sie dabei erstickt. Viel leicht war es der Mann, der ihr die Brüste abgeschnitten hat. Aber vielleicht hat er auch nur die Leiche gefunden.«
    Es drehte Anna den Magen um, als sie sich klarmachte, dass auch bei ihnen der Hunger längst stärker war als der Ekel. Den noch, einen Menschen zu essen war etwas anderes als ein veren detes Tier. Vergeblich kämpfte sie gegen den Würgereiz. »Müssen wir das nicht dem Bischof von Freising melden?«
    Falconet zuckte die Achseln. »Wozu? Wo kein Kläger, da kein Richter. Der Bischof war nicht für ihren Schutz verantwortlich. Vermutlich wäre ihm selbst das Geld für ein christliches Begräb nis zu viel.«
    Die Frauen sahen sich an. Anna wurde klar, was das bedeutete. Man konnte ihr Gewalt antun und sie tot liegen lassen, und nie mand würde sie auch nur begraben. Mit einem erstickten Laut schlug sie den Ärmel vors Gesicht. Tränen liefen über ihre Wan gen, die Angst schüttelte sie. Sie wollte nicht so enden, nicht so!
    »Wir werden alle sterben!«, schrie Steffen mit überschnappender Stimme. Der Anblick der Toten brachte ihn völlig aus der Fassung. Plötzlich zeigte er auf Anna: »Wir haben sie durchgefüttert, als sie zu uns kam, und jetzt beschützen wir sie, obwohl sie unsnichts als Ärger einbringt. Bringen wir sie in ein Badehaus, da gibt es immer einen reichen Bastard, der ein Vergnügen mit ihr gut bezahlt!«
    »Verkauf, was dir gehört!«, erwiderte sie heftig. »Ich bin keine Hure!«
    »Sollen wir auch so enden?«, brüllte er gehässig. »Wir haben dich aufgenommen, jetzt bist du an der Reihe. Hab dich nicht so, ich kenne keine Gauklerin, die sich nicht mal mit Hurerei den Lohn aufbessert!«
    Er hatte ihr nicht verziehen, wie sie ihn abgewiesen hatte. Ob wohl Anna Angst hatte, hielt sie ihm stand, ohne mit der Wimper zu zucken.
    »Sie muss gar nichts, wenn sie nicht will«, mischte sich Falco net ein. Der Nebel lichtete sich, und er zeigte geradeaus. »Begreift endlich, wir müssen zusammenhalten, wenn wir überleben wol len! Und jetzt kommt! Da vorne liegt Freising.«
    Sie beeilten sich, um die Stadt vor Torschluss zu erreichen. Hier saß einer der wichtigsten Bischöfe des Reichs, redete sich Anna zu. Es musste reiche Bürger geben, die sie aufnahmen. Nebel legte sich klamm auf ihre Haut, als sie einige Brachfelder überquerten. Es stank bestialisch, offenbar lud die Isar hier den gesamten Un rat Münchens ab. An einem der zahllosen von gleißenden Schotterbänken gesäumten Seitenarme kamen sie an einer neuartigen Walkmühle vorbei. Noch als sie die Straße zwischen zwei Hügeln auf das Tor zugingen, hörte Anna das rhythmische Geräusch der Häm mer, die den Filz stauchten. Als ihnen am Stadttor der Ge ruch von Qualm und Vieh entgegenschlug, atmete Anna auf. Wäh rend Falconet auf den Wachsoldaten einredete, sah sie sich um. Auf dem einen Berg, hinter ein paar Krautäckern lagen ein kleines Stift und das Kloster Weihenstephan. Auf dem rechten verrieten trutzige Mauern den Sitz des Bischofs.
    »Ablassbriefe!«, rief ein Mönch, der im Schatten des Torhauses hockte.»Kehrt um in die Herde Gottes! Erspart euren Seelen die Qualen des Fegfeuers! Für einen kleinen Obolus könnt ihr eure Sünden tilgen!«
    Anna bezweifelte, dass es so einfach war.

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