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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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Beine gezeigt, das taten nur Huren.
    Als sie als Ritter Neidhart in der Mitte stand, verschwammen die Zuschauer zu graubraunen Flecken. Anna hörte Pfiffe und Be merkungen, die sie nicht verstand. Obwohl sie den einen oder an deren hätte berühren können, nahm sie die Gesichter nicht ein mal wahr. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und sie versuchte auf die warmen Töne aus Falconets Flöte zu hören. Einen Text gab es nicht.
    Wie sie es ein Dutzend Mal bei den Männern gesehen hatte, stolzierte sie herum und blieb mit einer überraschten Geste vor dem Filzveilchen stehen, das Korbinian in die Mitte gestellt hatte. Erfreut besah sie es von allen Seiten. Dann nahm sie den Wollhut ab, den sie über der Bundhaube trug, und legte ihn vorsichtig dar über. Nun musste Ritter Neidhart seine Dame holen. Anna war froh, als sie endlich hinter den anderen verschwinden konnte.
    Falconet flötete weiter, was das Zeug hielt. Steffen als Bauer hatte schon auf seinen Auftritt gewartet. Anna verfolgte, wie er derb herumtrampelte, sich den Hintern hielt und schließlich den Hut aufhob. Schamlos lüftete er seine kurze Cotte, hockte sich über das Veilchen und gab geräuschvoll vor, seine Notdurft zu ver richten.Er ließ den getöpferten, braun bemalten Haufen herabfallen, dann bedeckte er alles sorgfältig wieder mit dem Hut.
    Vereinzelte Lacher gingen in den abfälligen Rufen der anderen unter:
    »Was soll das?«
    Als Anna mit Eva wieder auf die Bühne kam und sich nach ih rem Hut bückte, wusste sie schon, dass es dieses Mal vergeblich war. Sie hob ihre Kopfbedeckung von dem Haufen und dem zer knickten Veilchen.
    Gewöhnlich grölte das Publikum an dieser Stelle, aber aus gerechnet heute meinte es das Schicksal nicht gut mit ihnen. Ei ner warf seinen Schuh nach ihr, offenbar kannten die Leute den Schwank. Hilfesuchend sah Anna nach den Gauklern, aber Eva zuckte nur die Achseln. Anna beschloss, das Spiel zu Ende zu spie len. Sie zog blank und ging mit ihrem Holzschwert auf Steffen los, der sich mit dem Stock zur Wehr setzte. In der Wut schlug sie so auf ihn ein, dass das Holz krachte. Sie machte einen Ausfallschritt und streckte ihn mit einem beidhändigen Schlag nieder, wie sie es bei Raoul gesehen hatte.
    Ein kleines Mädchen hängte sich an den Arm seiner Mutter und quengelte. Die Zuschauer brüllten Beschimpfungen, manche machten Gesten, die meisten gingen einfach weiter. Keuchend sah Anna nach den anderen. Falconet schüttelte den Kopf, aber sie wusste selbst, dass es nicht ihre Schuld war. »Es tut mir leid«, sagte er leise.
    Anna zögerte. Auf einmal nahm sie die Bundhaube ab, unter der sie ihre roten Locken verborgen hatte, und das Haar fiel über ihre Schultern. Überrascht blieben die Leute stehen und stießen sich an. Sofort war sie von einer Menschentraube umgeben. Ein paar Männer schoben sich gegenseitig beiseite, Pfiffe und anzüg liche Rufe flogen durch die Luft.
    »Da schau her, der Hahn ist ein Hühnchen!«
    »Diesen Ritter schaue ich mir einmal genauer an!«
    Miteiner Geste verschaffte sie sich Ruhe.
    »Bist du verrückt?«, zischte Falconet, der offenbar ahnte, was sie vorhatte. »Sie werden dich hinter die Buden zerren, und ich werde dir nicht helfen können!«
    »Ich werde dich nicht brauchen«, erwiderte Anna. »Spiel Stetit Puella !« Sie las in seinem Gesicht die Warnung, dass hier der eine oder andere Latein verstand. Sie durfte sich keine Fehler leisten. Falconet hob die Flöte, und die bekannte Melodie webte sich in die eiskalte Luft. Anna schloss die Augen und sperrte ihn und die Zuschauer aus.
    » Stetit puella, rufa tunica …«
    Mit einem Schlag fiel alles von ihr ab: der Hunger, die Angst und die Kälte. Ihre Stimme wurde fester, und der Klang vibrierte tief in ihrem Körper. » … si quis eam tetigit, tunica crepuit. Eia !«
    Sie sang nicht vom Schicksal, das alles wie Eis zergehen lassen konnte. Nicht von dem hohlen, kreisenden Rad, das selbst Könige mit nacktem Rücken gehen ließ. Sie sang von Bauerntänzen mit lachenden Menschen. Vom Duft nach Holunder am Waldrand von Kaltenberg. Und von den Augenblicken des Glücks, wenn Ulrich sie küsste, von der Stille im Rittersaal, wo sie das Rascheln ihres Kleides hören konnte, wenn er es berührte. Die Erinnerung war so stark, dass sie am liebsten geschrien hätte. Sie ließ den Schrei mit ihrem Atem durch den Körper fließen. Anna fühlte, dass sie am Leben war. Jetzt. Und hier.
    » Stetit puella, tamquam rosula. Facie splenduit, et os eius

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