Die Gauklerin von Kaltenberg
»Ich bräuchte selbst einen Pfennig, um meinen Hunger zu tilgen«, erwiderte sie.
»Du verstockte Sünderin!«, krächzte er ihr nach und warf die Kapuze zurück. »Du wirst in der Hölle braten!«
Anders als in München, wo elegante Hofleute die Straßen be völkerten, trafen sie hier vor allem auf Mönche und Sekretäre des Bischofs. Aber selbst hier gab es die ausgebleichten Wirtshaus schilder mit der wilden Rose, die das Hurenhaus auswiesen. In schlechten Zeiten, machte sich Anna beunruhigt klar, konnten Frauen von ihren Vätern und selbst Ehemännern an die Huren wirte verkauft werden.
»Wie sagt der heilige Augustinus so treffend«, bemerkte Steffen, als könnte er ihre Gedanken lesen. » Dirnen in der Stadt gleichen den Abwasserrinnen. Wenn du sie wegnimmst, stinkt die ganze Burg .«
»Ja«, zischte sie. »Aber wenn du glaubst, ich würde für dich die Abwasserrinne machen, wirst du dein Lebtag stinken!«
Falconet führte sie den steil ansteigenden Hügel zum Dom hin auf. Mauern und Tore aus Backstein verrieten, dass sie nun den Herrschaftsbereich des Bischofs betraten. Geschwächt, wie Anna war, war sie völlig außer Atem, als sie den Domplatz erreichte.
Die viereckigen Türme der Kirche hatten schon von unten wuchtig gewirkt. Direkt unter ihnen vor dem gewaltigen Stein portal kam sie sich winzig vor. Aber nach dem tagelangen Um herirren in Kälte und Hunger hatte sie das Gefühl, nie einen schö neren Platz gesehen zu haben.
Überall waren Händler. Über qualmenden Holzfeuern wurde gebacken, und der Duft der frischen Fladen trieb Anna Tränen in die Augen. Sie sog den aromatischen Geruch ein, so tief sie konnte. Bauern riefen Wintergemüse aus und verjagten die zerlumpten Kinder, die Wolle und Bänder feilboten. Irgendwo musste jemand sogarHypocras ausschenken: Der Duft des heißen Gewürzweins hing zwischen den Mauern auf dem Domplatz. Anna erinnerte sich an die wohlige Wärme, als sie ihn zuletzt getrunken hatte – mit Ulrich, auf Burg Kaltenberg.
»Bischof Konrad stammt aus einer Patrizierfamilie, er wird si cher nichts gegen Gaukler haben. Aber wir dürfen keinen Anstoß erregen.« Falconet kaute auf seiner Unterlippe, unter den Augen lagen tiefe dunkle Schatten. Anna hatte das Gefühl, dass sich mehr Grau in das kurzgeschorene braune Haar mischte. »Wir versuchen es mit dem Schwank«, beschloss er.
Anna hatte das Gefühl, er hätte ihr einen Schlag vor den Bauch versetzt. Sie wusste, dass Frauen in den Schwänken nichts zu su chen hatten. »Ihr wollt ohne uns auftreten?«
Falconet wich ihr aus, die früher lebhaften Augen waren stumpf. »Der Schwank ist das Beste, was wir haben. Steffen macht den Ritter, ich den Bauern, Korbinian die Dame. Wenn du Flöte spie len könntest …«
Eva war zu erschöpft, um noch etwas zu sagen. Anna fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und spürte ein pelziges Gefühl. »Willst du damit sagen, dass ihr schon beschlossen habt, Eva und mich zu verkaufen?«, schrie sie ihn an. Sie zog die Kinder heran. »Sollen sie bei den Hurenwirten aufwachsen?«
Steffen blickte trotzig in die Ferne, und Falconet trat von einem Fuß auf den anderen.
Anna biss sich auf die Lippen. »Ich übernehme den Ritter!«, be schloss sie scharf. »Steffen und die Kinder machen die Bauern, und Eva die Dame. Du spielst Flöte.« Falconet öffnete den Mund, aber sie fiel ihm ins Wort: »Ich stehe jedenfalls lieber in Männerkleidern auf einem Platz, als mich in Frauenkleidern zur Metze zu machen.«
»Aber es ist verboten, Weiber in Männerkleider zu stecken«, wandte Steffen ein. »Sie werden uns verhaften.«
»Dann wirst du ihnen eben nicht verraten, dass sie einer Frau zusehen«, erwiderte Anna. »Hoffen wir nur, dass der Bischof nicht vorbeikommt.Wenn er den Braten riecht, wird er uns hinauswerfen.«
Steffen schien unschlüssig. Falconets bleiches Fuchsgesicht verzog sich zu einem Grinsen, und er schlug ihr auf die Schulter. »Also gut. Du bist Ritter Neidhart!«
Ehe Anna richtig nachgedacht hatte, stand sie mit Falconets Bundhaube auf dem Platz. Der Saum ihres Kleides hatte ohnehin in Fetzen gehangen. Sie hatte ihn einfach unterhalb der Knie ab gerissen, um wie ein Junge auszusehen. Gaukler waren oft sonder bar gekleidet, weil sie in geschenkten Kleidern gingen. Die Leute, die sich neugierig um sie scharten, merkten jedenfalls nichts. Anna hoffte nur, dass nicht auffiel, wie sie in dem kurzen Gewand fror. Außerdem schämte sie sich zu Tode. Noch nie hatte sie ihre
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