Die Gauklerin von Kaltenberg
floruit. Eia !«
Und auf einmal wusste sie, dass die Zuschauer es spüren konn ten. Es war nichts Greifbares. Aber sie wusste mit unumstößlicher Sicherheit, dass sie für einen Augenblick diesen Winter vergaßen und sich in eine andere Welt entführen ließen, weit weg davon.
»Da schlag mich doch der Hagel!«, stieß Falconet hervor. »Ich habe dich für ein verzogenes Dorfmädchen gehalten. Aber du bist die beste Gauklerin, die ich je gehört habe!«
SeineWorte machten Anna die Stille bewusst. Sie öffnete die Augen. Das kleine Mädchen hatte aufgehört zu quengeln, die Män ner starrten sie mit offenen Mündern an. Manche wischten sich verstohlen mit schmutzigen Ärmeln über die Gesichter.
Ein Bauer schob sich den Wollhut zurück und klatschte lang sam in die Hände. Die andern fielen ein, und dann begannen die Leute zu lachen und Glückwünsche zu rufen.
Steffen schlug ihr so kräftig auf die Schulter, dass sie zusam menzuckte. »Schade«, meinte er. »Ich wäre gern dein bester Kunde geworden, im Hurenhaus.«
Anna wollte ihm eine Ohrfeige verpassen. Dann bemerkte sie das Zwinkern seiner Augen. Das war offenbar die zerknirschteste Entschuldigung, deren er fähig war.
Sie war so erleichtert, dass sie hemmungslos zu lachen begann. Falconet warf seine Flöte weg und kam herüber. Er schwenkte sie herum, bis er ins Taumeln geriet, und sie kreischte überrascht.
Auf einmal wurde es still. Die Menschen wichen zur Seite, ei nige verdrückten sich hastig in der Menge. Anna kam wieder auf die Füße und strich sich erhitzt eine Strähne hinters Ohr. Sie er schrak zu Tode.
Gefolgt von einem schmallippigen Kleriker drängte sich eine eindruckgebietende Gestalt durch die Leute: ein älterer Mann, dem man die patrizische Herkunft ansah. Sie hätte nicht sagen können, ob Strenge oder Aufmerksamkeit in seinen Augen stand. Groß und kräftig gebaut, ohne die übliche Fettleibigkeit zu zeigen, wirkte die geistliche Kleidung an ihm seltsam unpassend. Ihr Blick blieb an dieser Kleidung hängen: ein weißer Mantel, der die lange Tunika fast verbarg, und auf dem reichen Haar ein Käppchen. Der auffällige Ring und das schwere Brustkreuz ließen keinen Zweifel an seinem Stand.
Mit zitternden Fingern zupfte Anna an ihrer viel zu kurzen Cotte. Falconet hatte sie gewarnt, hier keinen Anstoß zu erregen. Aber es war zu spät, um noch zu bereuen. Einen Augenblick schwirrtentausend Strafen durch ihren Kopf, die Frauen drohten, wenn sie Männerkleider trugen. Denn der Mann war Konrad III., den man den Sendlinger nannte. Es konnte nur er sein: der Bischof von Freising.
DritterTei l
Primo Vere. Uf dem Ange r
Gruonet der Wald allenthalben . Wa ist min geselle also lang e Der ist geritten hinnen . O wi! Wer soll mich minnen ?
1
Kurz vor Weihnachten galoppierte ein Waffenknecht in den Far ben des Bischofs durch Freising. Ohne sich bei den Bauernhöfen oder den steinernen Amtshäusern der Hauptstraße aufzuhalten, jagte er das Pferd den Domberg hinauf. Im Hof des Bischofspalasts glitt es beinahe auf den glatten Isarkieseln aus.
Als er aus dem Sattel sprang, bekam Meinrad es wieder mit der Angst zu tun. Stundenlange Gewaltritte wie dieser waren nichts Neues für ihn, aber sein heutiger Auftrag schon. Fröstelnd schlug er den Mantel fester um den Leib und trat kräftig auf, um das Ge fühl in seine nasskalten Füße zurückzubringen. Als der Wachpos ten ihn heranrief, zuckte sein struppiger Bart unwillkürlich.
»Hier herüber, Meinrad! – Das Dach ist unter der Schneelast zu sammengebrochen«, erklärte der Posten, als der Ankömmling ihm die schlammbespritzten Zügel reichte. Unruhig sah Meinrad sich um, wo einige aufgeregte Diener durcheinanderliefen. Das Scheu nentor stand offen. Dachbalken ragten in die Luft, und kräftige Diakone schippten im Schnee eine Gasse frei. Aus den Trümmern wurde ein Mann gezogen, gefolgt von einer jammernden Magd.
»Hat ein Knecht noch im Stall geschlafen?«, fragte Meinrad und schlug die kältestarren Hände aneinander.
Der Wachposten schüttelte den Kopf. »Vagantenpack. Hast du Nachrichten?«
Meinrad bejahte. Dankbar folgte er einem jungen Prälaten durch das Treppengewölbe ins wärmere Obergeschoss, wo sich der Speisesaal des Bischofs befand. Durch die mit Pergament be spannten Fenster fiel nur gedämpftes Licht herein, und in seiner Aufregung wäre er fast über den Hofnarren im Eingang gestolpert.
BischofKonrad III., »der Sendlinger«, saß in seinem pelzgefüt terten Mantel bei
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