Die Gauklerin
sie ins Straucheln gerieten und der Verletzte ums Haar aufs Pflaster gestürzt wäre. Immer wieder wurden sie angerempelt; zwei Trossbuben versuchten, Dorothea ihr silbernes Kettchen vom Hals zu reißen. Die junge Frau behielt ihre stille Ruhe, auch als ihr Kind nicht mehr aufhören wollte zu brüllen. Endlich standen sie vor dem mächtigen Gebäude des Heilig-Geist-Spitals.
«Hier ist es.»
Matthes drückte dem Alten seinen letzten Kreutzer in die Hand. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Dann drängte er sich durch die Meute von Vaganten, Bettlern und Verwundeten, schlug gegen das Portal, immer heftiger, bis endlich der Spitalknecht öffnete.
«Noch einer? Wir haben keinen Platz mehr.»
«Soll ich dich in Eisen vor den König von Ungarn schleifen, du Lump? Auf der Stelle nimmst du diesen Offizier auf.»
In der großen Säulenhalle im Erdgeschoss, die einem Kirchenschiff glich, lag ein Strohsack am anderen, und alle waren sie besetzt. In der Luft hing süßlicher Gestank.
«Kommt mit.» Müde schlurfte der Spitalknecht durch die Reihen der Kranken bis zu einem altarähnlichen Aufbau. Er wies auf die erhöhte Fläche davor. «Legt ihn dorthin. Ich hole den Wundarzt.»
Der Chirurgus war ein untersetzter, stiernackiger Mann mitlangem grauem Haar. Die tiefen Schatten unter den Augen verrieten, dass er die letzten Wochen kaum geschlafen hatte. Schweigend untersuchte er den Verletzten, beschmierte die Wundfläche mit einer stinkenden schwarzen Paste, legte einen neuen Verband an und flößte ihm einen Trank ein.
«Die Blutung scheint gestillt, bis auf die Austrittswunde im Rücken.»
Er reichte Matthes eine scharfkantige Bleikugel. «Die habe ich im Hosenbund gefunden. Vielleicht möchtet Ihr sie ja wieder verwenden.» Er sagte das ganz nüchtern und ohne Häme. «Die Wundränder am Bauch allerdings sind entzündet. Das sieht nicht gut aus.»
Er musterte Dorothea. «Seid Ihr die Frau des Offiziers?»
«Ja.»
«Dann geht zurück in Euer Quartier. Wir wissen nicht, ob die Leute hier die Pestilenz eingeschleppt haben. Geht, Euerm Kind und dem Ungeborenen zuliebe.»
Matthes durfte bleiben. Er kauerte sich auf die Stufe neben dem Verletzten und lauschte seinen ungleichen Atemzügen. Der Wundarzt hatte versprochen, regelmäßig nach ihm zu sehen, und Matthes vertraute ihm. Dennoch würde er nicht von de Paradas Seite weichen, so wie ihn Gottfried in seiner schweren Krankheit nicht verlassen hatte, damals, in jenem Winter im mährischen Olmütz. Er ballte unwillkürlich die Fäuste. Der Napolitaner war sein Freund geworden. Wer immer dort oben im Himmel regierte: Er durfte ihm nicht ein zweites Mal einen Freund nehmen.
Am nächsten Morgen schien das Fieber erstmals zu sinken. Mugge kam vorbei, um zu berichten, dass man in Kürze noch mehr Schwerverletzte ins Spital bringen würde. Ansonsten habe man bis in die Nacht ihren glänzenden Sieg gefeiert: Dreihundert Fahnen, siebzig Geschütze, viertausend beladene Trosswagen seien erbeutet, darunter zwanzig Wagenladungen Wein und Branntwein. Bis hinter Neresheim hätten Isolanis Kroaten dieSchweden gejagt und dabei Bernhard von Weimars kostbares Gepäck erbeutet. Sie selbst hätten zweitausend Mann verloren, ihre Gegner über zehntausend.
Da öffnete de Parada die Augen.
«Wo bin ich?» Das Sprechen fiel ihm schwer.
«In Nördlingen, im Spital.»
«Wir müssen zur Kompanie zurück!»
«Du bist schwer verwundet. Jetzt ruh dich aus, es wird alles gut.»
«Wo sind Dorothea und das Kind?»
«In Sicherheit. Unser Stadtkommandant hat ihnen ein Quartier in der Stadt zugewiesen. Du wirst sie bald wiedersehen.»
In de Paradas Augen schimmerten Tränen. Dann nickte er. «Und du, Matthes?»
«Ich bleibe bei dir, bis du über den Berg bist.»
26
Was für ein Feigling der junge Eberhard doch war, was für ein elender Feigling!
Agnes kehrte und wischte noch einmal durch die herzoglichen Frauengemächer, dann verstaute sie die Gerätschaften ordentlich in der Putzkammer, als wolle sie für den nächsten Morgen alles bereit stellen. Dabei würde sie wohl nie wieder den Kehrwisch durch diese Zimmer führen.
Nördlingen, das Tor zum protestantischen Württemberg, war gefallen. Als Herzog Eberhard von der vernichtenden Niederlage erfahren hatte, hatte er sich aus dem Staub gemacht, ohne irgendeine Verfügung bezüglich seiner Residenz zu treffen. Er hatte sich zum Zeitpunkt der Schlacht bei Göppingen befunden, sicher und wohlbehalten im Hauptquartier des
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