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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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bleibe, als sich mit den Kaiserlichen zu arrangieren. Ihnen allen sei indes versichert, dass kein Leid drohe, denn nach ausgiebiger und verantwortungsvoller Beratung habe man sich erboten, die Tore zu öffnen und den königlich-kaiserlichen Truppen Quartier zu gewähren.
    An dieser Stelle kam es zu ersten schrillen Pfiffen, zu Schmähungen wie «Verräter!», «Judasbrüder!». Nur mit Mühe gelang es dem Ratsdiener fortzufahren: Im Gegenzug habe der König versprochen, ihrer Stadt eine Salva Guardia auszustellen, sie zu schirmen und zu schonen. Nun stehe die Stuttgarter Ehrbarkeit in der Pflicht, in ihre ehrenwerten Häuser königliche Offiziere aufzunehmen. Des Weiteren hätten die noch verbliebenen herzoglichen Dienstboten ihre Kammern im Schloss zu räumen und in die Vorstadt zu ziehen. Dort sei jedes Haus verpflichtet, eine Familie aufzunehmen.
    Else bleckte grinsend ihre mittlerweile fast zahnlosen Kiefer: «Da werd ich euch also bald wieder am Hals haben.»
    In diesem Augenblick begann eine Gruppe Weingärtner den Ratsdiener lautstark niederzubrüllen, Rossäpfel flogen durch die Luft, dann Steine. Andere gingen mit Fußtritten und Geschrei gegen die Störenfriede vor, die wehrten sich mit Faustschlägen, bis binnen kurzem ein wüstes Handgemenge in Gang war und sich die ersten blutend im Dreck wälzten. Eiligst nahmen Agnes und Else Reißaus.
    «Wo sind die Männer geblieben?», fragte Agnes, als sie den stillen Schlossplatz erreicht hatten.
    «Lass sie doch raufen. Heute können sie vielleicht ein letztes Mal Dampf ablassen, ohne dass ihnen dafür der Kopf abgeschlagen wird.»
     
    Nie war Kaiser Ferdinand mächtiger gewesen als nach dem Sieg bei Nördlingen. Das besiegte Herzogtum Württemberg betrachtete er nun als verwirktes Reichslehen, das es ohne Umschweife zu besetzen und zu rekatholisieren galt. So marschierte sein Sohn, der König von Ungarn, mitten hinein ins Herz des Landes, ohne auf Widerstand zu treffen, während das spanische Heer, Seite an Seite mit Piccolomini, auf den Rhein zuhielt. Wie reife Äpfel fielen ihnen die protestantischen Städte in den Schoß: Göppingen, Heilbronn, Rothenburg waren eingenommen, zuletzt Nürtingen und das nahe Waiblingen. Jetzt rückten die Kaiserlichen gegen Stuttgart vor.
    Nur zwei Tage nach der Bürgerversammlung war es so weit: Am 20.   September 1634 des gregorianischen Kalenders der Papisten, der künftig für sie alle gelten sollte, näherte sich König Ferdinand den geöffneten Toren der Residenzstadt, um ganz Württemberg der Gewalt des Kaisers zu unterstellen.
    Agnes betrachtete die kahle Dienstbotenkammer, die jetzt, ohne Mobiliar, seltsamerweise noch kleiner wirkte. Bald acht Jahre war hier ihr Zuhause gewesen, hier war David zu einem selbstbewussten, stattlichen Burschen herangewachsen, hierher hatte am Ende ihre Mutter Zuflucht genommen. Selbst an die drei, vier heimlichen Nächte mit Rudolf erinnerte sie sich mit Wehmut. Nun stand sie hier, um sich von diesem Zimmer zu verabschieden, in aller Stille, denn sie wollte sich nicht von Degen schwingenden Söldnern hinausjagen lassen. Ein gutes Dutzend Mägde und Dienstboten hatte ausgeharrt, in der Hoffnung, die neuen Herren würden sie im Schloss wohnen lassen. Agneskonnte darüber nur den Kopf schütteln. Als Freunde würden sich die Kaiserlichen gewiss nicht gebärden.
    Und dennoch gehörte sie zu den ganz wenigen – wenn es denn überhaupt sonst jemanden gab   –, die nicht nur mit Furcht oder Schrecken die Einnahme der Stadt erwarteten. In all die Unwägbarkeiten, die seit Tagen die Menschen kaum schlafen ließen, hatte sich für Agnes mehr und mehr ein Hoffnungsschimmer geschlichen: Die Hoffnung, dass Matthes unversehrt das große Gefecht überstanden haben mochte und mit König Ferdinands Reitern in Stuttgart einziehen würde. Gemeinsam könnten sie dann Jakob ausfindig machen.
    Die Trommelschläge, die zunächst nur wie fernes Donnergrollen hallten, wurden lauter. Agnes trat ans Fenster. Sie hatte von der unermesslichen Größe dieser Truppen und ihrer Bagage gehört. Doch was sie nun zu sehen bekam, übertraf all ihre Vorstellungen. Durch das Nesenbachtal wälzte sich ein Lindwurm aus Menschen und Pferden, aus Reitern, Trommlern und Trompetern, aus Fußvolk mit Piken und Hellebarden, Fuhrwerken, Ochsengespannen, Viehherden, Geschützen und noch mehr Reitern und Regimentern zu Fuß – eine Schlange, deren Ende sich zum Neckar hin im goldenen Dunst des Spätsommernachmittags

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