Die Gauklerin
inzwischen das Bewusstsein verloren. Zu seinem Vorteil, denn der Knecht musste rasch handeln und schnitt ihm ohne jede Behutsamkeit Hemd und Wams vom Leib, um ihn anschließend zu verbinden.
«Er hat große Mengen Blut verloren. Ein Wunder, dass er sich überhaupt auf dem Pferd hat halten können. Andererseits war das wohl seine Rettung – der Druck des Sattels hat verhindert, dass er verblutet ist.»
«Wird er durchkommen?» Dorothea ließ sich neben ihrem Mann zu Boden sinken und umklammerte dessen Hand. Ihre kleine Tochter vergrub sich in ihrem Rock und begann zu weinen.
«Schwer zu sagen. Euer Mann ist nicht gerade der Kräftigste.»
«Aber zäh», sagte Matthes barscher als beabsichtigt. «Batista de Parada ist nicht der Mensch, der sich einfach davonmacht.»
Nachdem der Knecht ihnen ein Elixier zur Stärkung, ein zweites gegen Fieber dagelassen hatte, schickte Matthes seinen Reitknecht, Stroh und Decken herzuschaffen. Die Nacht versprach trocken zu bleiben, und so würde es das Beste sein, den Verletzten an Ort und Stelle zu lassen und bei ihm zu wachen.
In dieser Nacht tat Matthes kein Auge zu. Er starrte in die sternenlose Finsternis, in der hier und da Lagerfeuer glimmten, hörte das Stöhnen der Verwundeten ringsum, das Wimmern von de Paradas Tochter im Schlaf, die leisen Atemzüge Dorotheas, die in eine Decke gehüllt neben ihm saß und ebenfalls wachte. Er fühlte sich schuldig. Er hätte wissen müssen, dass irgendwer Jakob Feuerschutz geben würde. Wäre er nicht auf seinen Bruder losgestürzt, würde Batista de Parada jetzt nicht wie tot auf dem Stroh liegen, mit aufgerissenem Bauch, sondern friedlich in den Armen seiner jungen Frau.
Immer wieder trieb die Erschöpfung ihm Bilder vor Augen, die sich nicht vertreiben ließen: Jakob am Rande des Schlachtfelds, er selbst, wie er die Waffe gegen den eigenen Bruder richtete, Agnes, die sich von ihm abwendete, die Umrisse von Gottfrieds kopflosem Leib unter dem blutigen Rock. Nur seine Mutter konnte er nicht sehen, ihr Gesicht schien im Sumpf der Vergangenheit entschwunden.
Erst bei Sonnenaufgang kam der Rittmeister zu sich. Er erkannte sie, und in seine Augen trat Glanz. Vergeblich suchten seine rissigen Lippen Worte zu formen. Dorothea gab ihm zutrinken, und Mugge brachte einen Kanten Brot. Während sie ihr karges Morgenmahl einnahmen, bemerkte Matthes die Röte auf de Paradas Wangen und Augenlidern. Er legte ihm die Hand auf die Stirn: Sie glühte.
Gegen Abend verkündeten Trompetensignal und Kanonendonner, dass Nördlingen, die ehemals freie protestantische Reichsstadt, eingenommen war. Matthes weckte Dorothea, die nach der durchwachten Nacht an der Seite ihres Mannes eingeschlafen war.
«Wir müssen ihn ins Spital bringen. Das Fieber steigt. Noch eine Nacht auf dem feuchten Boden hält er nicht durch.»
Nachdem sie eine Trage aufgestöbert hatten, machte er sich mit Mugge auf den Weg. Dorothea ging mit halb geschlossenen Augen nebenher, aufrecht trotz der Schwere ihres gewölbten Leibes. Mit der Rechten hielt sie die Hände ihres Mannes umschlossen, die Linke hatte sie ihrer Tochter gereicht. Immer noch lagen unzählige Tote im Gras, die meisten nackt bis aufs Hemd, ihrer Kleidung und Schuhe beraubt, die ersten Rabenvögel wagten sich heran. Die Habsburger Söldner hatten inzwischen ihre Kameraden geholt. Wer hier lag, gehörte zu den Feinden. Wer würde sie begraben?
Drei kaiserliche Musketiere bewachten das Vorwerk des Stadttores.
«Lasst uns durch», sagte Matthes unwirsch. «Einer von Isolanis Rittmeistern ist schwer verletzt.»
«Vivat Ferdinandus», gab der Mittlere ungerührt zurück, ohne den Weg freizumachen.
«Willst du erst Bekanntschaft mit meinem Schwert machen? Aus dem Weg.»
Gewaltsam drängte er die Wächter beiseite und schleppte die Bahre, die ihm schwerer und schwerer in den Händen lag, hinein in die Stadt, die in heillosem Aufruhr war. Überall wimmelte es von Soldaten, Menschen wurden aus Häusern gezerrt, vornehmeDamen auf der Flucht schleiften ihre Schleppgewänder durch den Straßenkot, andere Frauen schrien und klagten oder hielten ihre Kinder an sich gepresst, in einigen Gassen hallten Schüsse.
«Wo ist das Spital?» Matthes musste brüllen, um den Lärm zu übertönen.
Ein alter Mann zog den Hut. «Im Gerberviertel, am andern Ende der Stadt. Ich führ euch hin.»
Sie bahnten sich ihren Weg durch den Hexenkessel der eroberten Stadt. Ein spanischer Reiter galoppierte ihnen so knapp vor die Füße, dass
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