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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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verlor.
    Unerbittlich schob sie sich auf das Esslinger Tor zu. Ihr Kopf war geschmückt mit bunten Fahnen und Standarten, dazwischen eine mächtige Heerpauke vor einem tänzelnden Schimmel mit geharnischtem Reiter. Am Tor, das ahnte Agnes, würden die Stuttgarter zu Hunderten warten, um Zeuge des Einmarsches zu sein, mit grimmigen Gesichtern, die Fäuste heimlich im Rock geballt.
    Nun ist es so weit, dachte sie wie in einem trägen, müdenTraum. Dann, ganz plötzlich, wurde ihr klar, was das bedeutete. In kürzester Zeit würde sich dieser breite Strom in ihre Stadt ergießen, in dieses Schloss, in die Vorstädte, in die Häuser und Höfe.
    Sie stürzte aus dem Zimmer, die Stiegen hinab, quer durch den Hof, zum Seitenportal hinaus, wo zwei Wächter in der Einsamkeit des Schlosses auf verlorenem Posten zu stehen schienen und ihr mit trauriger Miene Platz machten. Als sie das Innere Tor zur Esslinger Vorstadt erreichte, war dort die Hölle los. Auf dem Krempelsmarkt und in der Esslinger Gasse gab es kein Durchkommen, also versuchte sie es durch die Metzgergasse. Sie musste Elses Häuschen erreichen, bevor die Soldaten einfielen, musste zu David und ihrer Mutter.
    Vom Stadttor her hörte sie plötzlich Geschrei in fremder Sprache, Hufgetrappel auf Steinpflaster, gebrüllte Befehle, Trompetenstöße, dann Schüsse. Danach wurde es unerwartet still. Agnes drängte sich in Richtung Torplatz, der von bewaffneten Bütteln frei gehalten wurde, und tippte dem Mann vor ihr auf die Schulter.
    «Was war das?»
    «Die kroatischen Reiter. Sie wollten die Vorstadt stürmen und plündern.»
    «Das haben wir nun von dem sauberen Schutzbrief», sagte ein anderer Mann und spuckte aus. «Das Wort dieses Königs ist keinen Hühnerschiss wert.»
    «Freilich hält er sein Wort, du Faselhans. Oder siehst du hier irgendwo einen Krabaten?»
    «Seht euch das an», rief eine Frau. «Unsere Ratsherren fallen auf die Knie. Was für Memmen sind das.»
    Der Wind trug einige Wortfetzen herüber: «…   übergeben wir die württembergische Residenz   … in Euren Schutz und Eure Gewalt   … bitten um Schonung für unsere Stadt und unsere Bürger   …»
    Dann, unter Fanfarengeschmetter und in voller Rüstung, zog der Kaisersohn ein. Sein mächtiges Schlachtross tänzelte in verhaltenem Schritt. Wie ein Monstrum wirkt er nicht, dachte Agnes, mit seinem langen, dunklen Haar und dem sorgfältig geschnittenenSpitzbart. Eher wie ein ernster, höflicher Edelknabe. Resolut drängte sie sich durch die Menge, bis sie die schmale Sackgasse vor Elses Haus erreicht hatte.
    «Wo ist David?»
    Die Alte saß an Marthe-Maries Bett, das Agnes, wie die anderen Möbelstücke auch, hierher geschleppt hatte, ohne darüber nachzudenken, ob sie das Recht dazu hatte. Es war eng geworden in Steigers Häuschen. Nun, so würden sie wohl auch keine weiteren Einquartierungen hinnehmen müssen.
    «Er ist am Tor, mit Melchert. Oder hast du geglaubt, die beiden lassen sich das Spektakel entgehen?»
    Agnes setzte sich an den Küchentisch. «Es gefällt mir nicht, dass David jetzt den ganzen Tag herumlungert.»
    «Ist es seine Schuld, wenn der Schulmeister Reißaus genommen hat? Aber keine Sorge, ich werde ihn schon zu beschäftigen wissen.»
    «Tu das. Solange er sich nur von den Soldaten fernhält.»
    «Ist   – Matthes – gekommen?»
    Erschreckt wandten die beiden Frauen sich zu Marthe-Marie um. Sie hatte gesprochen, drei deutlich zu verstehende Worte, zum ersten Mal. Nur ihre Stimme war eine andere. Agnes lief es kalt den Rücken hinunter.
    «Matthes?», wiederholte Marthe-Marie leise.
    «Dann weißt du also, dass die Kaiserlichen hier sind?» Agnes war an das Bett getreten. «Hör zu, Mutter. Morgen mache ich mich auf die Suche nach Matthes. Und wenn er hier in Stuttgart ist, bringe ich ihn zu dir.»
     
    König Ferdinand und sein Gefolge hatten das Schloss in Beschlag genommen, während sich seine Obristen in den Bürgerhäusern am Markt und um den Schlossplatz breit machten. Draußen, auf den Wiesen vor den herzoglichen Gärten, hausten die Soldaten: Das tausend Mann starke Tiefenbacher Regiment, dazunoch einmal so viele Reiter, etliche davon mit Weib und Kind. Sie alle waren dabei, ihre Zelte und Strohhütten zu errichten. Frauen schleppten Wasser vom Nesenbach heran oder hängten Wäschestücke auf die gespannten Leinen, Hunde streunten zwischen Hühnern und schmutzigen Kindern herum, die ersten Betrunkenen torkelten durchs Gras.
    All diese Menschen wird unsere Stadt

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