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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Geschrei, Trommeln, Lärmen und Trompetenstößen. Dann, als die Leibgardisten der Gelben Brigade auseinander sprengten, als Bernhard von Weimar verwundet, das Pferd unter ihm erschossen war und er in letzter Sekunde mit einem herrenlosen Pferd entfliehen konnte, als die letzten Hornschen Völker sich vom Albuch zurückzogen und mit den flüchtenden Weimaranern zusammenprallten, um sich gegenseitig niederzureißen, als Horn selbst schließlich gefangen war – da fand das Gemetzel ein Ende.
    Zwischen den Hügeln hingen noch dick die Pulverschwaden, als das dreifache Siegesschmettern der Trompeten ertönte. Dasschwedische Heer oder, besser, das, was von ihm übrig war, stob davon in südlicher Richtung, um eilends das Lager aufzulösen und die Bagagewagen anzuspannen. Matthes stand auf halber Höhe des Albuch. Er wusste: Noch während das Schlachtfeld geplündert wurde, würden Isolanis Kroaten den Feinden nachjagen, um Pferde und Bagage an sich zu reißen und dabei nicht zögern, die Fliehenden, Männer, Frauen und Kinder, niederzumetzeln.
    Es war vorüber. Matthes stieg vom Pferd und wickelte sich umständlich einen Streifen Stoff um den blutenden Unterarm. Der Tod hatte schreckliche Ernte gehalten. Verkrümmte Körper hingen an den kahlen Flanken des Hügels, krallten sich in die eilig aufgeworfenen Schanzen, Leichen über Leichen deckten den Talgrund zu seinen Füßen, so weit der Blick reichte. Schwerverletzte versuchten unter Schreien, auf die Beine zu kommen, um ihn herum überzog schwarzrot glänzendes Blut wie eine Glasur den kargen Heideboden, auf dem sich die ersten Schmeißfliegen niederließen. Matthes spürte plötzlich, wie sich ihm der Magen hob. Er erbrach sich im Schutz eines Wacholderstrauchs.
    «Braucht Ihr Hilfe?»
    Ein Knecht des Feldschers kam den Hügel herunter, über der Schulter einen Bewusstlosen, dem das halbe Bein abgerissen war.
    «Nicht nötig.» Verlegen trat Matthes aus dem Schatten des Busches. «Hab mich schon selbst verbunden.»
    Ein vierschrötiger Kerl, Wachtmeister wie Matthes, stieß ihn in die Seite.
    «Was ist, Oberschwab, gehst du nicht auf Partei?» Er rieb sich die Hände. «Ein Glück sind wir bei der Reiterei, jetzt, wo das Fußvolk nur noch Nachles halten darf, was wir beim Beutemachen übrig lassen.»
    «Halt’s Maul», gab Matthes zurück. Widerwillig nahm er seinen Fuchs beim Zügel und saß auf.
    Er verabscheute das, was nun folgen würde. Aber er brauchte einen Ersatz für sein zweites Pferd, die alte Schimmelstute. Während eines Scharmützels am Vorabend hatte er dem verletzten Tier den Gnadenschuss geben müssen. Und herrenlose Pferde gab es jetzt zuhauf.
    Einer zweiten Attacke gleich fielen die kaiserlichen und spanischen Söldner über die Walstatt her, im Siegestaumel, ausgehungert und voller Gier. Hier und dort begannen die ersten Raufereien um die fettesten Brocken, um die Habseligkeiten der blutenden, jammernden Menschenbündel. Matthes hätte gern die Augen verschlossen vor diesem Schauspiel, doch er war auf der Suche nach de Parada und nach einem Pferd. Er musste mitten hindurch durch die Massen von Kadavern, von Leibern ohne Arme oder Beine, mit weggeschossenen Gesichtern, mit aufgeschlitzten Bäuchen, musste vorbei an Rössern, die auf drei Beinen humpelten und denen die Gedärme aus dem Leib hingen, musste die Schreie der Halbtoten hören: «Mach mich tot! Stech mich doch tot!»
    Am Rande eines Wäldchens fand er den Rittmeister, auf Knien neben einem keuchenden Jungen. Es war Hannes, ein begnadeter Reiter ihrer Kompanie, Sohn eines verarmten Landedelmannes und gerade einmal neunzehn Jahre alt. Sein halber Unterkiefer war weggerissen, die Zunge hing als blutiger Klumpen seitlich heraus. De Parada hielt die Hände des Verletzten fest, während er mit leiser Stimme auf ihn einsprach. Dann ging ein Aufbäumen durch den Körper des Jungen; sein Blick brach sich.
    De Parada erhob sich, faltete die Hände und sprach ein Gebet in seiner Muttersprache. Dann fügte er auf Deutsch hinzu: «Gott gebe dir und uns allen am Jüngsten Gericht eine fröhliche Auferstehung und ewiges Leben. Amen.»
    Auch Matthes zog seinen Hut, doch beten konnte er nicht. Das hatte er vor langer Zeit verlernt.
    «Gehen wir zurück ins Lager», murmelte de Parada.
    «Ich brauch noch ein Pferd.»
    «Da hinten, am Waldrand. Der Braune scheint unverletzt.»
    Matthes nickte. Wo sie standen, konnten sie den Lärm aus dem Lager der Schwedischen hören, das sich gleich hinter dem Gehölz

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